Liu Yan 刘燕
EDITORIAL  

Storyof seine Situation im heutigen China beurteilt, kann man in Christian Gassers Reportage auf Seite 48 nachlesen.
Dass sich die chinesischen Zeichnerinnen und Zeichner durchaus getrauen, ihre Meinung kund zu tun, beweisen einige
der hier abgedruckten Geschichten.
Und dass sich mit STRAPAZIN und Special Comix zwei nur geografisch getrennte eineiige Zwillinge endlich gefunden haben, beweist dieser Auszug aus einem Interview, das Christian Gasser mit Zhang Xun in Nanjing geführt hat:

Zhang Xun: »Ich entdeckte STRAPAZIN während einer Europareise in der Buchhandlung eines Museums in Wien. Ich kaufte gleich mehrere Ausgaben, dazu ein paar andere Comic-Zeitschriften. Aber auch in den Augen von Storyof und DN ragte STRAPAZIN aus allen Zeitschriften heraus. Wir fanden STRAPAZIN einzigartig, nicht zuletzt weil wir uns geistig verwandt fühlen. Die Unabhängigkeit, der Mut, die Risikobereitschaft, die künstlerische Abenteuerlust – das zeichnet STRAPAZIN unserer ­Meinung nach aus. Diese Haltung beeindruckte uns so tief, dass wir STRAPAZIN zum Vorbild nahmen. Als wir für Special Comix 3 mit einem Verlag im Gespräch waren, haben wir uns ganz konkret die Frage gestellt: Wie würde STRAPAZIN in dieser Situation entscheiden? Wir vermuteten, dass ­STRAPAZIN diesem Verlag eine Absage erteilen würde, denn STRAPAZIN ist nicht an Profit interessiert, sondern an Integrität. Deshalb war es für uns klar, dass auch Special Comix sich nicht vom Geld verführen lassen

 

und ­Kompromisse eingehen sollte. Also blieben wir unabhängig.
Als ich von STRAPAZIN angerufen und gefragt wurde, ob wir an einer Zusammenarbeit interessiert seien, setzte mein Herz einen Moment lang aus. Dann rief ich Storyof an – und er blieb erst einmal ganz still, zehn Minuten lang, mindestens, doch ich spürte, wie es in ihm brodelte. DN hingegen plapperte, wie es seine Art ist, begeistert drauflos. Später trafen wir uns – es wurde eine unvergessliche Nacht für uns hier in Nanjing.

Wir von STRAPAZIN sind nach China gefahren, in der Hoffnung, interessante Comic-Zeichner und –Zeichnerinnen zu treffen. Unsere Hoffnungen wurden mehr als nur erfüllt, denn im Verlauf der 14 Tage in Nanjing sind alle, mit denen wir zu tun hatten, zu Freundinnen und Freunden geworden.

Christoph Schuler

 

* Die in China gedruckte Sondernummer STRAPAZIN (mit ausschliesslich ­Schweizer Zeichnerinnen und Zeichnern) in chinesischer Sprache kann bei den jeweiligen Redaktionen in Deutschland und der Schweiz zum Preis von Euro 18.— / sFr. 25.— (zzgl. Porto) bezogen werden (Adressen s. Impressum).

Special Comix verfügt in Europa über keine Vertriebsstellen, kann aber über STRAPAZIN bezogen werden (es dauert allerdings eine Weile).
Blog von Special Comix:
http://scomix.blogbus.com/

STRAPAZIN kooperiert mit diesen beiden Veranstaltungen, die ebenfalls Chinas Kulturschaffen
zum Thema haben:

Culturescapes China
An der Eröffnung am 16.9. im Theater Basel wird STRAPAZIN mit einem Verkaufsstand vertreten sein.
www.culturescapes.ch

Cartoonmuseum Basel
Wortbilder. Comics aus China
6.11.2010 – 6.3.2011
In Zusammenarbeit mit dem chinesischen Nationalmuseum in Peking (NAMOC) zeigt das Cartoonmuseum Basel erstmals in der Schweiz in grösserem Umfang aktuelle chinesische Comic-Kunst und ihre wichtigsten historischen Vorbilder.
www.cartoonmuseum.ch

 

 

Diesem Heft, dem hundertsten STRAPAZIN, gingen lange Diskussionen voraus, wie genau wir unser Jubiläum feiern sollten – mit einer Ausstellung, einer Party, einem Flug zur Venus, dem Schutzplaneten der Comics? Keiner dieser Vorschläge fand eine begeisterte Mehrheit. Dann tauchte die
Idee auf, mit der gesamten Redaktion nach China zu reisen, um dort einerseits nach STRAPAZIN-kompatiblen Comics ­Ausschau zu halten und andererseits die nährende Muttermilch des unabhängigen Comic-Schaffens zu verströmen, das in China noch in den Kinderschuhen steckt. Erst hielt sich der Enthusiasmus in ­Grenzen, Bedenken wurden geäussert, wir würden die Sprache nicht in nützlicher
Frist fliessend sprechen lernen, der Dalai Lama werde wohl sein Abo künden, und überhaupt müsse zuerst die Unterdrückung der freien Meinungsäusserung in China angeprangert werden.
Doch als wir nach längerer Recherche herausfanden, dass in Nanjing Special Comix, das spannendste aller uns bekannten chinesischen Comic-Magazine heraus­gegeben wird und sich die Herausgeber freuen würden, mit uns zusammen­zuarbeiten, schmolzen alle Widerstände ­dahin. Das Problem fehlender Sprachkenntnisse wurde durch Liu Yan aus der Welt geschafft, einer in der Schweiz lebenden und mit STRAPAZIN verbundenen ­chinesischen Zeichnerin, die uns sehr gerne in ihre Heimatstadt (und ins Nanjing Art Instiute, an dem sie einst studiert hatte) führen wollte. Was wir jetzt noch benötigten, war Geld, um nicht nur die Reise, sondern auch die Publikation einer Sonderausgabe* von STRAPAZIN in chinesischer Sprache zu finanzieren. Zum Glück
fanden wir Unterstützung seitens der schweizerischen Kulturstiftung Pro Helvetia, die zurzeit ihre Aussenstation
in Shanghai aufbaut, so dass auch diese Hürde aus dem Weg geschafft war. Blieb die Frage, ob unser Abstecher nach China politisch korrekt sei. Ist er natürlich nicht, wenn man die zahllosen Menschenrechtsverletzungen bedenkt, deren China immer wieder beschuldigt wird. Nur: kann man mit gutem Gewissen in die USA (Polizeistaat, Hinrichtungen Unschuldiger, Krieg im Irak und in Afghanistan etc.), nach Deutschland (Krieg in Afghanistan, Merkel, Westerwelle), nach Frankreich (Pogrome gegen Fahrende, Brutalität gegen Schwarze, schlecht geliftete Präsidentengattin)
oder nach Burma (allgemeine Unterdrückung der Bevölkerung) reisen? Darf man in der Schweiz (Geldwäsche, Waffenausfuhr, Über­wachung Andersdenkender, schlimme Dialekte, Blocher, Mörgeli) leben?
Da uns die in Special Comix abgedruckten Arbeiten zeigten, dass in diesem Magazin ein durchaus kritischer Geist waltet, ­beschlossen wir, nach Nanjing zu reisen und die Herausgeber dieses für China einmaligen Heftes persönlich kennen zu lernen. Wie es uns dabei erging, und wie das Herausgebertrio Zhang Xun, DN und