KURZ UND GUT

von Christian Meyer

 

In »1910«, dem dritten Band der Steampunk-Fantasie »Die Liga der aussergewöhnlichen Gentlemen«, lassen Alan Moore und Zeichner Kevin O’Neill erneut literarische Gestalten wie Orlando, Mina Harker, Oliver Haddo oder Thomas Carnacki blutig und humorvoll aufeinander prallen. »1910« ist düsterer als die Vorgänger, weil die Geschichte ebenso wie seine »Lost Girls« von Vorahnungen des Grauens des Ersten Weltkriegs durchweht ist. Es dürfte allerdings einigen Aufwand erfordern, alle historischen und literarischen Anspielungen zu ergründen.
Nach sechs langen Jahren gibt es endlich ein neues Album der Reihe »Die geheimnisvollen Städte« von François Schuiten und Benoît Peeters. »Die Sandkorntheorie« erzählt mit faszinierenden Architekturfantasien von seltsamen Steinen und Sandfontänen, die plötzlich in Appartements auftauchen.

Alan Moore & Kevin O’Neill:
»Die Liga der aussergewöhnlichen Gentlemen: 1910«.
Panini, 80 S., Softcover, farbig, Euro 12.95 / sFr. 22.90

François Schuiten und Benoît Peeters: »Die Sandkorntheorie«.
Schreiber & Leser, 112 S., Softcover, s/w mit Schmuckfarbe,
Euro 24.80 / sFr. 37.90

 

 

Cover-Illustrationen von Liu Yan 刘燕

Marc-Antoine Mathieu klettert gerne auf die Metabene. Dieses Mal geht es nicht um das Medium Comic, sondern um Gott höchstselbst. Der ist nämlich zur Erde niedergefahren und löst ein ziemliches Chaos aus. Er selbst nimmts gelassen, aber die Menschen drehen durch, und der Trubel um den Schöpfer artet schnell in Kommerz aus (Godland statt Disneyland). Ein grosser Schauprozess soll schliesslich Gott mit den philosophischen und moralischen Fragen und Vorwürfen der Menschen konfrontieren, und selbst Schadenersatzforderungen wegen der vergeigten Schöpfung stehen an. In seinen extrem kontrastreichen Schwarzweiss-Zeichnungen entfaltet Mathieu ein ebenso groteskes wie kluges Szenario.

Marc-Antoine Mathieu: »Gott höchstselbst«.
Reprodukt, 128 S., Softcover, s/w, Euro 20.- / sFr. 30.50

 

 

 


Zusammen mit dem Zeichner Emmanuel Guibert erzählt David B. in »Kapitän Scharlach« eine Geschichte um Piraten im Paris des Fin de Siècle, die ganz in der Tradition der phantastischen Literatur jener Zeit steht: Untote, Gauner, Kommissare, Prostituierte und ein romantischer Literat bevölkern diese Welt.

David B. & Emmanuel Guibert: »Kapitän Scharlach«.
Avant Verlag, 64 S., Softcover, farbig, Euro 19.95 / sFr. 33.50

 

 

Mit »Die Reise mit Bill« kehrt der deu­tsche Altmeister Matthias Schult­heiss nach langer Zeit zurück. Und wie! Auf knapp 300 ­Seiten erzählt er in grandiosen Aquarellzeichnungen ein Road­movie, das auch Wim Wenders’ Hirn hätte entsprungen sein können: USA, lange Landstrassen, ein Auto, ein Mann ohne Ziel, ein Kind, ein Fremder ... Doch dann macht Schultheiss eine psychologische Kehrtwende, wenn nicht gar einen esoterischen Salto. Ist das schon Fantasy? Man muss Schultheiss aber nicht in jedem Moment folgen, um von seinem neuen Epos ergriffen zu sein.

Matthias Schultheiss: »Die Reise mit Bill«.
Splitter, 281 S., Hardcover, farbig, Euro 29.80 / sFr. 43.50

 

 

 


Mit der Reihe »Noir« lanciert Schreiber & Leser ein neues Sublabel, das sich bitterbösen Thrillern widmet. In »Coronado« erzählt der für seine grossformatigen stimmungsvollen Farbbilder bekannte Loustal eine abgründige Kurzgeschichte von Dennis Lehane. »Die Packard Gang« von Marc Malés verbindet raffiniert die Suche eines alternden Kommissars nach der Wahrheit über ein zwanzig Jahre zurückliegendes Verbrechen. Die Stimmung der 30er- und 50er-Jahre in amerikanischen Kleinstädten fängt Malés treffend ein. Action und psychologische Feinheiten vermag er gleichermassen packend zu illustrieren. Nächstens soll eine Adaption von Dennis Lehanes »Shutter Island« folgen.

Loustal & Dennis Lehane: »Coronado«.
Schreiber & Leser Noir, 96 S., Softcover, farbig, Euro 16.80 / sFr. 25.90

Marc Malés: »Die Packard Gang«.
Schreiber & Leser Noir, 144 S., Hardcover, s/w, Euro 17.80 / sFr. 27.50

 

 

 


Alex Robinson wandert in »Unvergessene Zeiten« – ähnlich wie zuletzt Juri Taniguchi in »Vertraute Fremde« – in die eigene Kindheit zurück. Beim Versuch, per Hypnose das Rauchen aufzugeben, landet er bei seiner ersten Zigarette und damit wieder auf der High-School – und das mit dem Bewusstsein des längst Erwachsenen. Humorvoll lässt Robinson die pubertierenden Freunde auf die Erfahrenheit des Zeitreisenden prallen.

Alex Robinson: »Unvergessene Zeiten«.
Edition 52, 132 S., Softcover, s/w, Euro 12.- / sFr. 16.90

 

 

 


Isabelle Pralong erzählt in »Der Elefant« von dem späten Zusammentreffen Claires mit ihrem Vater. Die Mutter zweier Kinder wusste nichts von einem Vater, bis sie einen Anruf erhält, dieser läge im Wachkoma. Am Rande des Nervenzusammenbruchs versucht sie, mit der Situation umzugehen. Pralong erzählt mit grandiosen Zeichnungen ebenso hysterisch wie komisch von dem einschneidenden Ereignis.

Isabelle Pralong: »Der Elefant«.
Edition Moderne, 80 S., Softcover, s/w, Euro 12.80 / sFr 19.80

 

 

 


Mit »Im Museum – Archive des Zerfalls« erscheint ein zweiter Band mit den Zeitungsstrips von Sascha Hommer und Jan-Frederik Bandel. Zwei im Museum eingeschlossene Kids wandern immer noch durch surreale Welten und ergründen dabei humorvoll die philosophische und kulturelle Weltgeschichte. Die Gratwanderung, für den Strip nach jeder Spalte eine Pointe liefern zu müssen, und dennoch eine fortlaufende Geschichte zu erzählen, gelingt den beiden meisterhaft.

Sascha Hommer & Jan-Frederik Bandel: »Im Museum 2 – Archive des Zerfalls«.
Reprodukt, 128 S., Softcover, farbig, Euro 18.- / sFr. 30.50

 

 

 


Zwei ungefähr jährlich erscheinende Anthologien sind bei der siebten Ausgabe angelangt: Das lockere Frauenkollektiv »Spring« aus Hamburg widmet sich im siebten Band der Anthologie dem »Happy End­ing«. In recht freien ­grafischen Arbeiten, manchmal im klassischen Comic-Format wird ironisch und eher düster das glückliche Ende beschworen oder auf der Metaebene analysiert. Ein über 250 Seiten dicker, sehr abwechslungsreicher Band mit Arbeiten von Ulli Lust, Claire Lenkova, Barbara Yelin, Nora Krug, Larissa Bertonasco u.a. Mit »Seelenstrips« ist nun trotz Schwierigkeiten auch der siebte Band der Anthologie »Panik Elektro« erschienen. Johannes Kretschmar und Ulf Salzmann haben Wittek als Herausgeber abgelöst. Entstanden ist ein 400-seitiger Überblick über deutsche Comic-Blogger, die mit diesem Brocken ihre digitalen Tagebücher in Print vorstellen. Die Sammlung autobiografischer Comic-Blogs stellt neben Veteranen wie Leo Leowald und Flix viele junge Zeichner vor. Bislang einmalig ist die Sammlung der Comics aus »Le Monde Diplomatique – In 50 Comics um die Welt« versammelt experimentelle One-Pager von Atak, Anke Feuchtenberger, Lina Hoven, Martin tom Dieck u.v.m. Hier ist garantiert keine Seite wie die andere.

Diverse: »Spring 7 – Happy Ending«.
Eigenverlag, 254 S., Softcover, zweifarbig, Euro 14.–

Johannes Kretschmar & Ulf Salzmann (Hg.): »Panik Elektro 7: Seelenstrips«.
Schwarzer Turm, 400 S., Softcover, s/w, Euro 19.80 / sFr. 33.50

Diverse: »Le Monde Diplomatique – In 50 Comics um die Welt«.
Reprodukt, 68 S., Hardcover, farbig, Euro 29.- / sFr. 41.90