EDITORIAL



ISOLATED HOUSES

 
 

Vor einigen Jahren, anlässlich meines ersten Amerikaaufenthalts, wurde ich fündig.
In der gutbestückten William Stout Architektur- und Designbuchhandlung in San Francisco wollte ich mich am Tag vor meiner Rückreise mit Büchern eindecken. Bücher, welche mir die Bilder, die sich während meiner Reise durch Missouri, Kansas, New Mexico, Arizona und schlussendlich auch durchs südliche Kalifornien bei mir eingegraben hatten, dokumentierten. Es waren nicht
die Bilder, die ich mir im Vorfeld vorgestellt hatte. Und es waren nicht Bilder des Urbanen, sondern Bilder der Zwischenzonen. Städte, die sich in der Wüste auflösen. Städte, die beginnen und die enden, deren Zentrum
aber nie manifest wird. Denn wenn man mit der Eisenbahn durch die USA fährt, nimmt man das
Land anders wahr als mit dem Automobil. Erster bleibender Eindruck, man hat immer den Einblick in
den Hinterhof, die Hinteransicht der Gebäude, in den Arsch der Kultur. Während auf der Seite der Strasse abgegrenzt wird, mit Mauern, Zäunen und Hecken,
schaut man von der Eisenbahn in die Innereien
des Privaten. Da türmen sich dann einerseits die
Spuren des Konsumalbtraums, aufgebockte, ausgeschlachtete Fahrzeugskelette, verbogenes, verbleichtes Kinderspielzeug, alter Möbelschrott und
der ganze andere Müll. Anderseits zeigen sich die
Träume vom schönen und bunten Konsumparadies, die Gartenmöbel und Barbecuegrills, die Fahnenstangen
und Sportgeräte, die Pools und Hundezwinger.
Wieso sich der amerikanische Mensch von
der Strasse abschottet, das Private verbirgt,
jedoch zur Eisenbahn hin das Private offen lässt,
habe ich für mich offen gelassen. Was bleibt,
ist der Einblick ins Chaos hinter der
aufgeräumten Fassade.

 

 

Die Eisenbahn zieht in den USA ihre eigene Spur. Die Häuser folgen den Strassen. Aber oft sind die Bahnhöfe nur Knotenpunkte der Bahn, die sonst mit der suburbanen und urbanen Struktur nicht verbunden ist. Die Bahn war schon da als die Städte sich breit machten, ungeplant wucherten. Sie war da und entwickelte sich seit den 1950er Jahren, im Gegensatz zum Individual-
verkehr ins Abseits. Sie durchquert Gebiete, die sich im Gegensatz zu ihr selber weiter entwickelt haben.

In den USA bildeten sich Zonen, die nicht mehr für Wildnis im herkömmlichen Sinn, aber auch nicht für urbane Räume stehen, sondern für verwilderte Urbanität. Und ein Buch aus der Buchhandlung in San Francisco
– John Divolas «Isolated Houses» – zeigt genau diese Orte. Es dokumentiert Häuser an der äussersten Peripherie von Los Angeles, eine in die Wüste zerstreute Stadt. Der Autor fotografierte in ihrer Form fast schon archetypische Häuser an der Grenze zwischen Urbanität und Natur – sozusagen Stille in Zwischenzonen. Kennern der amerikanischen New-Color-Fotografie ist der Name Divola ein Begriff. Der Mitstreiter von Eggleston,
Shore & Konsorten zeigt uns mit «Isolated Houses» die schmerzenden Weiten Amerikas in ihrer Brüchigkeit und Verlorenheit angesichts des suburbanen Vorstosses.

Für diese Ausgabe von STRAPAZIN haben wir unterschiedlichste Zeichnerinnen und Zeichner mit
den Fotografien von John Divola konfrontiert, ihnen
aber die Freiheit gelassen, um sich mit dem Thema der isolierten Häuser auseinander zu setzen. Zusammen gekommen ist genau das, was wir uns erhofft hatten: Arbeiten, die sich sehr nahe bei den Bildern von John Divola positionieren, gleichwohl individuelle oder geografisch unterschiedliche Geschichten erzählen.

Roli Fischbacher

 
 

Die Arbeiten von John Divola von den 1970er Jahren bis 2008
sind zu sehen unter: http://www.divola.com

 

 

Wer sich für die skandinavische Version von «Isolated Houses» interessiert, sei der Film «Nord» von Rune Denstad Langlo empfohlen.