Heraia
Benjamin Egger & Physarum polycephalum

Benjamin Egger & Physarum polycephalum - Heraia

Benjamin Egger & Physarum polycephalum - Heraia

Benjamin Egger & Physarum polycephalum - Heraia

 

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Interview mit
Benjamin Egger & Physarum polycephalum

  Benjamin – Für die Arbeit „Heraia“ habe ich von Anfang an einen Komplizen gesucht, der nicht über die gleichen körperlichen oder intellektuellen Voraussetzungen wie ich verfügt. Vielleicht, weil mich das Medium Zeichnung an sich und seine Bedeutung sehr interessiert : das Zeichnen als zweckfreier ästhetischer Ur-Ausdruck. Ich hatte den Eindruck, dass sich diese Frage in Kollaboration mit einem Komplizen mit einer völlig anderen Basis gut bildnerisch umsetzen und untersuchen liesse.

  Zuerst wollte ich mit Primaten zeichnen, denn auch Affen drücken sich künstlerisch aus, ohne dass man sie zwingen oder belohnen müsste. Hatten sie einmal Zugang zu Zeichnungswerkzeug, wird der bildnerische Ausdruck auch für sie zu einem Bedürfnis. Dieses Projekt liess sich aber nicht im vorgegebenen Zeitraum realisieren. Danach plante ich, mit einer blinden Person zu zeichnen. Auch blinde Menschen haben ein Bildempfinden, der gleiche Bereich wie bei Sehenden ist im Hirn für das Visuelle zuständig und aktiv. Ich habe mich mit einer blinden Frau getroffen und wollte mit ihr zusammen abstrakt zeichnen. Es zeigte sich jedoch, dass dies für sie absolut keinen Sinn macht; wenn sie sich zeichnerisch ausdrückt, dann immer konkret, abbildend. Für sie ist es bereits derart anstrengend, Konkretes zu erkennen und zu verarbeiten, dass ihr das Abstrakte völlig überflüssig scheint. Wir schlossen das Experiment – nach zaghaften Zeichnungsversuchen – schliesslich mit einem Scherenschnitt ab.   

  Nach diesen Anläufen erinnerte ich mich daran, dass Sabine Schlatter und ich bereits einmal versucht hatten, mit Schleimpilzen zu arbeiten. Pilze interessierten mich schon lange, weil sie Lebewesen sind, die aus einem anderen System zu stammen scheinen, Zwischenstücke zwischen Pflanze und Tier. Ein solches
Zwischenstück bringt die ganze Ordnung ins Wackeln, es lässt weder Kategorien noch eindeutige Trennungen zu. Der Schleimpilz Physarum polycephalum den ich in den usa bestellte, schien mir für das Thema „Komplizen“ sehr passend : Er besteht eigentlich aus einer einzigen Zelle, doch sobald mehrere zusammenfinden, verschmelzen sie wiederum zu einem Einzeller. Teilt man den Pilz wieder, entstehen erneut zwei unabhängige Zellen. Der sehr organischen Form des Pilzes stellte ich ein streng geometrisches System gegenüber, indem ich eine Serie verschiedener Spielfelder auf Plexiglas zeichnete, auf denen ich den Pilz „spielen“ liess.

  Die Bilder entstanden folgendermassen : Auf die Felder Haferflocken – habe ich stellvertretend für eine Mannschaft – in richtiger Anzahl und Position für das jeweilige Spiel gesetzt. Von diesem Moment an habe ich das Spiel aus der Hand gegeben, meine Arbeit war sozusagen die Vorlage für den Pilz. Der Pilz bewegte sich auf den Spielfeldern in Richtung der Nahrung, umschleimte und verdaute die Flocken, verteilte die Nahrung mittels seiner Adern in der Zelle. Ich habe die Spielfelder feucht gehalten, damit die Schleimpilze überleben, ansonsten aber keinen Einfluss mehr auf die Entstehung der Bilder genommen. Der Pilz wuchs etwas länger als eine Woche, täglich fotografierte ich alle Felder. Schliesslich habe ich diejenigen Bilder ausgewählt, in denen die Adern des Pilzes für das jeweilige Spiel logische Spielzüge darzustellen schienen.

  Bis 2010 habe ich unter dem Namen „eggerschlatter“ eng mit Sabine Schlatter zusammen gearbeitet. In einem solchen Kollektiv macht man alles zusammen, nicht nur das Kreative, auch ganz praktische oder administrative Dinge. Die Entscheidung, mit „eggerschlatter“ von der Kunstwelt als Label wahrgenommen zu werden, war auch eine Entscheidung gegen die klassische Autorenschaft. „Wer hat was gemacht ?“ war und ist für dienÖffentlichkeit immer eine wichtige Frage.

  Im Moment arbeite ich alleine. Es ist manchmal anstrengend, ganz auf sich gestellt zu sein. Gleichzeitig kann ich mich auf diese Art mehr auf das fokussieren, was mich wirklich interessiert. Bei der Zusammenarbeit ging es immer um das, was zwischen Sabines und meiner Position existierte. Im stetigen Dialog und Kombinieren unserer individuellen Ideen suchten wir jeweils etwas „Neues“, „Drittes“. Arbeite ich allein, kann ich mich entscheiden, zu welchem Zeitpunkt und mit wem ich mich austausche.

  Für meine eigenen Projekte suche ich immer wieder Kollaborationen, da mich das gemeinsame Arbeiten als solches interessiert. Oft arbeite ich auch mit Personen zusammen, die nicht professionell mit Kunst zu tun haben. Dabei muss ich viel Überzeugungsarbeit leisten, viel erklären und meine Vision der Arbeit vermitteln. Gleichzeitig will ich den Teilnehmenden Raum geben, dass sie das Projekt mittragen können und nicht bloss ausführen. An einem bestimmten Punkt entwickelt sich immer eine Eigendynamik, wo etwas Neues, Unerwartetes entsteht. Ich mag es, wenn ich erst eine Ausgangslage schaffe, meine Arbeit sich danach aber davon entfernt und sich etwas abzuspielen beginnt, das sich meiner Kontrolle entzieht. Wie beim Schleimpilz.