Komplettes Komplizen-Komplott

Das geschriebene Wort von Wolfgang Bortlik

 

Dass die Schreiberei ein Solo-Geschäft ist, darauf ist hier schon im letzten strapazin deutlich hingewiesen worden. So wie das Herz ein einsamer Jäger ist, so isoliert sitzt der Schreiberling da und fizzelt Sätze gewordene Bilder, Gedanken und Aktionen aufs Blatt oder in den Computer. Im Comic gibt es wohl Komplizenschaft zwischen Zeichner und Szenarist, im Geschriebenen Wort jedoch hat der Schriftsteller seine Komplizen höchstens im Herausgeber, in seinem Verleger und manchmal auch im Rezensenten, also im geschäftlichen Bereich.

Ich denke beim Wort Komplize ja immer irgendwie an kriminelle Zusammenhänge. Gerne lese ich so tolle Sätze wie : Ohne Mithilfe einer entschlossenen Komplizenschaft wäre es dem Täter nicht gelungen, den fünf unerträglichsten SVP-Politikern kurzerhand die Nasen abzuschneiden. Oder : „Seine Komplicen befreyten den unglücklichen Bankräuber innert wenigem an Minuten aus jeglichem Polizeygewahrsam.“ Oder: Komplizierte Komplizen komplottieren komplexe Komplimente.

Also Krimi und komplizenhaftes Schreiben : Das hat das schwedische Ehepaar Maj Sjöwall und Per Wahlöö ausgezeichnet hingekriegt. Sie sassen sich an einem grossen Schreibtisch gegenüber. Jeder hatte nur eine Kerze, einen Block und einen Schreibstift vor sich. Zwischen 1965 und 1975 schrieben sie zusammen zehn Kriminalromane mit dem melancholischen Polizisten Martin Beck, wobei das Kriminelle an und für sich nur ein Vorwand war für eine soziale Analyse der schwedischen Gesellschaft. Wahlöö und Sjöwall waren Kommunisten, Per Wahlöö war beispielsweise in den Fünfzigerjahren als Journalist aus Francos Spanien ausgewiesen worden. Die beiden kritisierten in ihren Kriminalromanen die schwedische Sozialdemokratie als „Reparateure des Kapitalismus“. Per Wahlöö starb schon 1975, Maj Sjöwall ist weiterhin eine begehrte Übersetzerin. Gegenüber den skandinavischen Krimis, die heute einem Tsunami gleich den Buchmarkt überschwemmen, äusserte sie sich in einem
Interview ziemlich skeptisch : „Dieser Gegensatz zwischen der Literaturform, wie wir, mein Mann und ich, sie anwendeten und der Gegenwart ist eklatant. Wir wollten die Form nutzen, um eine Gesellschaft zu beleuchten. Heute werden Krimis wie am Fließband produziert. Das muss sich ändern.“

Schliesslich ist Sjöwall / Wahlöös gebrochener Held Martin Beck heute noch das Vorbild für allerhand melancholische, griesgrämige Kommissare. Mankell hat seinen Wallander deutlich nach Beck-Vorbild geschnitzt. Der letzte Beck-Roman ist meines Erachtens auch der komplexeste und literarisch überzeugendste von den zehn. Er heisst „Terroristen“ und scheint immer noch im Buchhandel erhältlich zu sein. Darin fällt Gunvald Larsson der Kopf eines in die Luft gesprengten Präsidenten vor die Füsse, und Martin Beck, mittlerweile der Leiter der schwedischen Reichsmordkommission, soll ein solches Attentat auf einen einflussreichen amerikanischen Politiker in Stockholm verhindern. Denn das hat eine internationale Organisation, die ebenso mysteriös wie brutal ist, angekündigt. Beck ist mittlerweile verliebt in Rhea Nielsen, was ihm und dem Grundton des Romans deutlich gut tut. So ist „Terroristen“ eine breit gefächerte, ausschweifende und auf den verschiedensten gesellschaftlichen Ebenen handelnde Geschichte.

Eine besondere Komplizenschaft oder vielleicht auch Kumpanei beschreibt die Kriegsreporterin und Erzählerin Martha Gellhorn (1908 – 1998). Sie berichtet von einer Reise nach China Anfang 1941, während des japanisch-chinesischen Kriegs. Ihr Reisekomplize war ihr damaliger Mann Ernest Hemingway, den sie in ihrem Bericht immer nur UB nennt, das bedeutet Unwilliger Begleiter. Während UB aber stoisch und mit dem wenigen hochprozentigen Alkohol, den es unterwegs gibt, bestens versorgt sämtliche Strapazen besteht, klagt und jammert Gellhorn ständig: wegen des Regens, der schauderhaften Unterkünfte, der unzulänglichen Reisemöglichkeiten, der sprachlichen Probleme. Sie, die diese Schreckensreise ja unbedingt und gegen den Rat von UB machen wollte. Es ist zivilisatorisch aber auch wirklich recht rudimentär im chinesischen Hinterland, wo sich die Truppen von Tschiang Kai-schek und die halbwegs mit ihnen verbündeten Kommunisten unter Mao Tse Tung gegen den japanischen Aggressor eingerichtet haben. Gellhorn soll für ein amerikanisches Magazin darüber berichten, denn die Öffentlichkeit in den usa will Bescheid wissen über diesen Weltkrieg, auch wenn Pearl Harbor und der amerikanische Kriegseintritt noch fast ein Jahr weit weg sind.

Nun jammert Frau Gellhorn selbstverständlich auf allerhöchstem Niveau : Das alles ist unglaublich unterhaltsam zu lesen, stilistisch perfekt, präzise, mit einem trockenen Humor, vor allem bei der Beschreibung von UB, der in den getränkefeuchten Verhandlungen mit den Chinesen zu Höchstform aufläuft. Neben diesem China-Trip gibt es noch vier andere „Höllenfahrten“ – etwa eine Reise in die udssr 1972 – zu lesen in diesem 1978 im Original und soeben auf deutsch erschienenen Buch „Reisen mit mir und einem anderen“. Feinste Reiseliteratur überhaupt !

Hugo Ball und Hermann Hesse als Komplizen zu bezeichnen, ist vielleicht ein bisschen gewagt. Der Literaturnobelpreisträger Hesse (1877 – 1962) hat ja einen schlechten Ruf weg, seit er in den Sechzigerjahren als Referenzliterat für die Hippiebewegung herhalten musste. Als ich als junger Mensch unter sanftem Zwang der Umstände „Das Glasperlenspiel“ lesen musste, da wollte ich mir als Antidot sofort sämtliche Perry Rhodan-Hefte einpfeifen. Hesse war aber nicht immer so erlösungsmythisch vergurkt. Hugo Ball (1886 – 1927) hingegen stand schon immer als Referenz eher bei Punk und New Wave. Die Talking Heads hatten als erstes Stück auf ihrem 1979er-Album „Fear of Music“ beispielsweise ein dadaistisches Lautgedicht von Hugo Ball vertont : Aus „Gadji beri bimba“ wurde da „I Zimbra“.

Hugo Ball fing als Theatermann an, ging während des Ersten Weltkriegs in die Schweiz und war Mitbegründer von Dada und dem Zürcher Cabaret Voltaire, wo er als „magischer Bischof“ in der berühmten Röhrenverkleidung seine Lautgedichte vortrug. Als ihm das aber langsam auf die Nerven und an die Energie ging, verschwand er mitten in der dadaistischen Hochkonjunktur aus Zürich in den Tessin und schrieb auf einer Postkarte an seine Kollegen, dass er das Glockengeläute über dem Lago Maggiore Dada bei weitem vorziehe. Im Tessin wohnte er dann mit Emmy Hennings und deren Tochter quasi im Nachbardorf von Hermann Hesse. In den Zwanzigerjahren war Hesse ein flotter Feger, dem wohl auch Hugo Balls Ehefrau Emmy Hennings gefiel. Die seltsame vergeistwickelte Dreierkiste zwischen Hesse-Ball-Hennings ist sehr schön in Eveline Haslers letztem Buch „Und werde immer ihr Freund sein“ beschrieben.

Hugo Balls grösster Bucherfolg war schliesslich eine Biographie von Hermann Hesse, die im heutigen Wikipedia-Zeitalter wohl niemand mehr so hinkriegen würde. Ball ist jedenfalls einer der singulärsten und aussergewöhnlichsten Geister des letzten Jahrhunderts. Wer sich über Leben und Werk des Anarchisten, Dadaisten und katholischen Mystiker genauer informieren will, der greife zu Michael Brauns (Herausgeber) Buch „Hugo Ball. Der magische Bischof der Avantgarde“.

Was gibt es denn sonst noch für Komplizen des geschriebenen Wortes ? Ilja Ilf und Jewgenij Petrow vielleicht ! Die heissen eigentlich Fajnsilberg und Katajew und gingen das Wagnis ein, in der Sowjetunion um 1930 zwei umwerfende satirische Romane zu veröffentlichen. Das war die Zeit, in der Stalin zum Alleinherrscher in der Kommunistischen Partei wurde und die Enteignung der Bauern vorantrieb. Ich nehme nicht an, dass Stalin auf satirische Romane stand, auch wenn Ilf und Petrow aufrechte Kommunisten waren. 1928 erschien „Die zwölf Stühle“, in dem es um einen Schatz geht, der in einer dieser zwölf Sitzgelegenheiten steckt. Ein zweifelhaftes Individuum namens Ostap Bender setzt alle Hebel in Bewegung, um an diese überall in der udssr verstreuten Stühle bzw. an den Schatz zu kommen, den eine vor den Kommunisten geflohene reiche Dame versteckt hat. Das Buch ist ein prächtiges Beispiel für ebenso witzige wie zeitkritische Satire.

Und dann habe ich da auch noch meine Lieblingskomplizen Julie Burchill und Tony Parsons, die 1977 beide berühmt-berüchtigte Rockjournalisten wurden. Sie entstammten der Arbeiterklasse, waren verheiratet, aber bald total zerstritten, und sie schrieben eines der besten Musikbücher, das es gibt : „The boy looked at Johnny“. Da wird alles runtergemacht, dass die Fetzen nur so fliegen. Was für ein Vergnügen ! Was die beiden heute machen, will ich nicht wissen, und darüber wird auch hier nicht verhandelt !

 

 

 

Playlist:

Maj Sjöwall / Per Wahlöö : „Terroristen“.
rororo Taschenbuch, chf 14.50

Martha Gellhorn: „Reisen mit mir und einem
Anderen. Fünf Höllenfahrten“.
Dörlemann Verlag, Zürich 2011, 544 Seiten,
chf 40.– / eur 8.95

Michael Braun (Hrsg.): „Hugo Ball.
Der magische Bischof der Avantgarde“.
Verlag Wunderhorn, Heidelberg 2011,
147 Seiten, chf 28.90 / eur 18.90

Balls Gesamtwerk ist im Wallstein Verlag, Göttingen, erschienen.

Eveline Hasler: „Und werde immer ihr
Freund sein. Hermann Hesse, Emmy Hennings
und Hugo Ball.“
Nagel & Kimche, Zürich 2010, 220 Seiten,
chf 28.90 / eur 18.90

Ilja Ilf / Jewgenij Petrow: „Die zwölf Stühle“.
Sammlung Luchterhand, chf 19.90 / eur 12.–

Julie Burchill / Tony Parsons:
„The Boy Looked at Johnny“.
(gibt es nur noch antiquarisch)