KURZ UND GUT

von Christian Meyer

 

Mit «Lebensbilder» ist endlich der dritte und letzte Band der Will Eisner-Bibliothek erschienen. Das aufwändige Projekt des Carlsen Verlags hatte sich immer wieder verzögert. Nun liegt der dritte Band mit dem Spätwerk des 2005 gestorbenen Vaters der Graphic Novel vor, in denen er ganze Lebensgeschichten psychologisch und soziologisch plausibel mit wenigen Bildern erzählt. Kern des Bandes ist die autobiografische Geschichte «Im Herzen des Sturms», die uns den Autor auch persönlich nahe bringt.

Will Eisner: «Lebensbilder».
Carlsen, 480 Seiten, HC, s/w, EURO 36.– / SFr 49.90

 

Craig Thompsons «Habibi» ist ebenfalls im Nahen Osten angesiedelt; er erzählt in seinem ordentlich dicken Werk (672 Seiten) von den verschleppten Kindern Dodola und Zam, die sich in der Wüste finden, verlieren und erneut finden. Die Story ist in einer altertümlich anmutenden Gegenwart angesiedelt, die Umgangsformen sind archaisch. Thompson umspielt die Geschichte mit philosophischen und religiösen Texten, arbeitet an der Schnittstelle zwischen Kalligraphie und Zeichnung und entfaltet eine allumfassende Betrachtung über Leben, Liebe und menschliches Miteinander.

Craig Thompson: «Habibi».
Reprodukt, 672 S., HC, s/w, Euro 39.- / SFr 53.50

 

Die beiden Künstler Corbeyran und Thierry Murat haben mit «Lauras Lied» Amélie Sarns gleichnamigen autobiografischen Roman adaptiert, der von der sexuellen Misshandlung durch den eigenen Vater erzählt. Ohne Voyeurismus und ohne plakative Motive beobachten sie die Protagonistin bei ihren Besuchen des inzwischen im Koma liegenden Vaters. Endlich traut sie sich, ihm all das zu sagen, was sie immer sagen wollte. Die leicht unscharfen Farbzeichnungen passen hervorragend zum Thema.

Corbeyran & Thierry Murat: «Lauras Lied».
Schreiber & Leser, 104 S., SC, farbig, Euro 18.80 / SFr 29.90

 

«Ganz allein» von Chabouté ist eine echte Überraschung: Auf über 350 Seiten erzählt der Künstler ohne viele Worte vom einsamen Leben eines entstellten Mannes auf einem Leuchtturm. In seiner Abgeschiedenheit macht er sich sein eigenes Bild von der Welt da draussen, und Chabouté hat dazu nicht nur eine tolle erzählerische Idee, sondern weiss sie auch zeichnerisch klug umzusetzen. Ein stilles, poetisches Werk.

Chabouté: «Ganz allein».
Carlsen, 376 S., HC, s/w, Euro 29.90 / SFr 40.90

 

Der Italiener Golo rollt das bewegte und mysteriöse Leben des deutschen Abenteuerromanciers B. Traven auf. «Porträt eines Unbekannten» lautet der Untertitel, der auf die vielen Namen und Rollen, in die der sozialistische Autor geschlüpft ist, anspielt. Golo berichtet sehr unterhaltsam, minutiös und oft spekulativ von dessen (politischen) Abenteuern. Die farbigen Zeichnungen sind aufwändig gestaltet, der Erzählfluss wird von surrealen Tableaus gegliedert.

Golo: «B. Traven –  Porträt eines Unbekannten».
avant-verlag, 144 S., HC, farbig, Euro 24.95 / SFr 38.50

 

Ein zeichnender Historiker ist auch Joe Sacco. Mit «Gaza» kehrt er nach Palästina zurück und erforscht die Geschehnisse um zwei Massaker in den 1950er-Jahren. Sacco befragt vor allem palästinensische Augenzeugen, aber auch israelische Beobachter kommen zu Wort. Zwar ist seine Parteinahme klar, aber er bemüht sich in seiner investigativen, im Zeichenstil an Robert Crumb geschulten, 400-seitigen Comicreportage um Neutralität.

Joe Sacco: «Gaza».
Edition Moderne, 432 S., SC, s/w, Euro 34.– / SFr 45.–

 

«Asterios Polyp» ist die erste Graphic Novel des begnadeten Comiczeichners David Mazzucchelli («Stadt aus Glas»). Er erzählt die Lebensgeschichte eines Architekten aus der Perspektive von dessen totgeborenem Zwilling. Nachdem Polyps Wohnung ausbrennt, zieht er die Bilanz seines Lebens. Mazzucchellis Werk ist nicht nur hochphilosophisch, es ist auch eines der überzeugendsten Beispiele eines Comics, der auf jeder Seite mit enormer visueller Kraft vorführt, warum man bestimmte Erzählweisen nur im Comic findet.

David Mazzucchelli: «Asterios Polyp».
Eichborn, 344 S., HC, farbig, Euro 29.95 / SFr 40.90

 

«Warum gibt es keine Antworten, die nicht tendenziös sind?», fragt Sarah Glidden in ihrem autobiografischen Bericht «Israel verstehen – In 60 Tagen oder weniger» über eine Reise nach Israel. Die zehntägige Rundfahrt wird gestiftet, um Juden aus aller Welt das Leben in Israel näher zu bringen. Glidden gelingt das, was sie suchte: Ihr Reisebericht ist geprägt von ständiger Selbstreflexion, und die Autorin ist klug genug zu wissen, dass es immer verschiedene Wahrheiten gibt. Das Ganze ist leichtfüssig in farbigen Aquarellzeichnungen erzählt, so dass Verbissenheit und Dogmatisumus keine Chance haben.

Sarah Glidden: «Israel verstehen».
Panini, 212 S., HC, farbig, Euro 24.95 / SFr 36.90

 

Megan haut immer wieder ab, mit 17 dann endgültig. Sie zieht zwölf Jahre durch die USA, ist immer an anderen Orten – Grossstädten, Kleinstädten, auf dem Land. Sie lernt Menschen aus den unterschiedlichsten Schichten kennen. Mal ist sie nur Nebenfigur, meist aber steht sie im Zentrum dieser fast 400 Seiten starken Coming of Age-Geschichte einer jungen Frau. Beeindruckend.

Ryan Kelly & Brian Wood; «Local».
Modern Tales, 400 S., HC, s/w, Euro 36.– / SFr 51.90

 

«Hair Shirt» heisst soviel wie Büsserhemd, und John ist derjenige, der mit Alpträumen büsst, in denen die Vergangenheit immer wieder hochkommt. Was das alles mit seiner Freundin Naomi zu tun hat, die nach Jahren in die trostlose Heimatstadt zurückgekehrt ist, muss John langsam und schmerzlich erfahren. Der Kanadier McEown zeichnet den adoleszenten Horror mit zittrig fliessendem Strich.

Patrick McEown: «Hair Shirt».
avant-verlag, 128 S., SC, farbig, Euro 19.95 / SFr 28.–

 

Das Comiczeichnerinnen-Kollektiv Spring setzt sich in der achten Ausgabe der gleichnamigen Anthologie mit dem weitgefassten Thema «Familiensilber» auseinander. Die Palette der Beiträge reicht vom klassischen Comic (Claire Lenkova, Ulli Lust, Barbara Yelin) über abstraktere Grafikarbeiten, Fotoübermalungen, Pappcollagen bis hin zu bemaltem Geschirr. Ohne Rücksicht auf Grenzen wird hier – oft auf berührend persönliche Art – der Freiheit des Erzählens gefrönt.

Spring #8: «Familiensilber».
Eigenverlag, 228 S., SC, farbig, Euro 14.– / SFr 19.50