Das Trinken beim Essen nur ja nicht vergessen

Das geschriebene Wort von Wolfgang Bortlik

 

1. Nahrungssuche ist die Grundlage aller menschlicher Geschichte und Entwicklung von Anfang an. Hat man das Mammut erst mal erlegt und verzehrt, dann kann man sich weitere Gedanken machen: Das Essen sollte eine grundlegende Bejahung der Existenz, eine solidarische Unterstützung des eigenen Wachsens und Gedeihens sein, im Kopf wie im Körper. Essen müsste überdies auch ein lustvoller Entwurf des Lebensgenusses sein, der uns über das molluskenhafte Dasein des Schmarotzens und Fressens hinaushebt. Das Gehirn isst mit. Aber nicht, dass man jetzt meint, durch Essen werde man zum besseren Menschen. Das Gegenteil von Essen ist das Fressen. Jedenfalls steckt hinter der Nahrungsaufnahme nicht nur eine wie immer auch geartete Philosophie, sondern ebenso ein Bombengeschäft. Zum Beispiel mit Kochbüchern, Kochkursen, Kochshows. Junkie Flittchen Club. Tim Schmälzer. Jamie Oliveoil und andere.

2. Oft ist die Nahrungsaufnahme an Bedingungen geknüpft: Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen! Zuerst das Fressen, dann die Moral! So hart und wahrhaftig wurde das seinerzeit (Mammutjagd, Bodenflucht, Industrialisierung) postuliert. Heute besteht ein Grossteil der Wirtschaft nicht mehr aus Mammutfleisch oder Schnaps (Arbeiter, meide den Alkohol!), sondern nur noch aus dem Abstrakten und Unpersönlichen, also aus Geld. Dieses ist jedoch zumeist nur Pseudogeld, vermutlich (nicht) vorhandenes Geld. Aber Geld kann man nicht essen. Doch auch das ist eigentlich eine schon sehr alte Erkenntnis (König Midas). Gefährlich jedenfalls ist das Essen vom Baum der Erkenntnis. Zusätzlich fallen mir da auch noch berühmte diesbezügliche Duette ein: Essen und Trinken. Liebe und Magen. Essen und Vergessen. Rotweiss Essen und Ente Lippens. Beefsteak und Pommes frites.

3. Das Beefsteak saignant essen ist also ein zugleich natürlicher und geistiger Akt ... Und so wie der Wein für viele Intellektuelle zu einer mediumartigen Substanz wird, die sie zur ursprünglichen Kraft der Natur führt, wird das Beefsteak für sie zu einem Nahrungsmittel des Loskaufs, dank dem sie ihre Intellektualität prosaisch machen und durch das Blut und das weiche Fleisch die sterile Trockenheit bannen, deren man sie unablässig beschuldigt.

Soweit Roland Barthes in «Mythen des Alltags», immer noch eines der tollkühnsten und vergnüglichsten Bücher des Abendlandes. Barthes lässt sich auch über Striptease, junges Theater, Filmschauspielerinnen und den neuen Citroën aus, ein rarer Genuss fürs Gehirn.

4. Aber Vorsicht, essen und trinken heisst zumeist auch kochen. Dieser Akt vor der Vernichtung der Nahrungsmaterie durch Verdauung etc. gilt stets und sakrosankt als kreativ. Gut, kochen kann ein Akt der Befreiung und der Anarchie sein, ist aber zu oft auch konterrevolutionäres Kleinbürgertum. Ich las immer gern in der Küche einer kochunwilligen Bekannten folgenden Wahlspruch: «Wenn Gott gewollt hätte, dass wir kochen, dann hätte er nicht die Restaurants erfunden.»

«Meta kocht» heisst ein neues und sehr schönes Kochbuch. Noch hübscher als Titel wäre selbstverständlich «Metaphysik kocht» gewesen, aber was soll’s. Meta Hildebrand ist Köchin in ihrem Restaurant «Kutscherhalle» in Zürich, und sie ist ziemlich in. Sie läuft hoffentlich nicht mit dem Schweissbrenner durch die Küche, um der armen Jakobsmuschel die Moleküle umzugestalten. Metas Rezepte sind überschaubar handfest, aber doch recht raffiniert. Es gibt viel Vegetarisches und man spürt bei der Lektüre schon im Mundraum, wie fein das schmecken könnte. Ausserdem ist es, wie gesagt, ein wunderschön gemachtes Kochbuch, das fast eher noch aus ästhetischen denn aus kulinarischen Gründen in jedem Büchergestell stehen kann.

5. Eher aus der Chaotenküche kommt das äusserst charmante Kochbuch «Sheriff de Cuisine» von Lea Schindler, welches so beginnt: Warum Sheriff und nicht Chef de Cuisine? Ich will kein Chef sein. Ich bin lieber Sheriff, der immer eine Lösung für alles hat und lässig durch die Küche schlurft. In diesem Sinne ist das Buch auch ein bisschen mehr Lebens- als Kochhilfe, vor allem für Leute, die zum ersten Mal in ihrem Leben die eigene Küche betreten. Keine Angst vor dem Kühlschrank, keine Angst vor dem Herd, keine Angst vor der eigenen Kochkreativität. Es ist alles ganz einfach. Und so hat es recht ordentliche und hilfreiche Tipps sowie spitzenmässige Rezepte in diesem wirklich hübschen und auch sehr anrührenden Buch.

6. Zum Kochen braucht man wohl auch Rohstoffe, aber keine Minerale wie Kassiterit (Zinn) oder Coltan (Tantal), die für Handys unumgänglich nötig sind. Deren Förderung und Verarbeitung findet beispielsweise unter den grauenvollsten und brutalsten Umständen (Sklaverei, Mord, Vergewaltigung) im Kongo statt. Und alles zugunsten von Rohstoffhändlern und ihren Konzernen, die sich seit Marc Rich immer wieder sehr gerne in der Schweiz niederlassen.

In der Nord-Süd-Problematik sind global agierende Rohstofffirmen besonders ex­poniert und derart mächtig, dass sie ganze Förderregionen kontrollieren und Staats­wesen ausser Kraft setzen können. Entsprechend gross ist die Verantwortung von Ländern wie der Schweiz, wo viele ener Konzernzentralen stehen, in denen für Entwicklungsländer häufig existenzielle Entscheidungen getroffen werden.Das sagt der schweizerische Strafrechtsprofessor Mark Pieth, ein Experte für Bankgeheimnis und Rohstoffhandel. Die Schweiz ist immerhin Sitz von Rohstoffkonzernen wie Glencore, Trafigura oder Xstrata. Auf die Frage, wie sich die offizielle Schweiz gegen die zumindest moralisch sehr fragwürdigen Konzerne verhalten soll, meint er nur: Ein Machtzentrum, das eine stringente Schweizer Aussenpolitik formuliert und auch umsetzt. Stattdessen haben wir ein mit sieben Zwergen bestücktes Regierungsgremium, das bislang nichts gegen das Image der Schweiz als Piraten-hafen unternehmen konnte oder wollte.

Auch der Rohstoffhandel ist ja an und für sich nichts Schlechtes. In seiner jetzigen Form birgt er für die Schweiz aber grosse Reputationsrisiken. Das detaillierte Bild dieser Branche, die zu den grössten und skrupellosesten Globalisierungsgewinnern gehört, wird in diesem äusserst empfehlenswerten Buch gezeichnet.

7. Kochbücher, die es bis jetzt noch nicht gab
(aber wie lange noch):

Greil Marcus
«Kochen mit dem King.
Das Feinste aus Elvis Presleys Medikamentenküche»


Armin Meiwes
«Kannibalenküche
Was am Mensch am besten schmeckt»


Wolfgang Bortlik
«Flüssig futtern.
Die besten Rezepte aus Wein und Bier»

(und nur aus Wein und Bier!)

Ottmar Hitzfeld (Herausgeber)
«Knackiges aussem Kosovo.
Wie die junge Schweiz heute isst.
11 Rezepte und drei Auswechslungsmenüs»


Joseph Aloisius Ratzinger
«Vater, lass nicht jeden Kelch an mir vorübergehen»
Fette Rezepte aus dem Vatikan


Sarah Palin
«Wolf, Elch und gedämpfter Obama.
Alaskas Beitrag zur Haute Cuisine der Welt»


8. Ein guter Esser ist offensichtlich auch Endo Anaconda, der Frontmann und Sänger der Schweizer Minimalrockband Stiller Has. Ein gefüllter Teller im vegetarischen Restaurant Tibits und dann noch drei Tatarbrötli aus der Migros, das muss es schon sein als Mahlzeit. Aber das Essen ist nicht das zentrale Anliegen in seinem neuen Buch, wichtiger ist ihm vielmehr Kultur, Politik und Alltag in der Schweiz. Darauf hat Anaconda einen scharfen Blick und schreibt darüber seine kleinen Geschichten, die wie seine Songtexte in­haltlich überschaubar, strukturell raffiniert und zumeist von grossem Witz sind. Wie etwa die Glosse «Auf den Hund gekommen». Das ist meine Anaconda-Lieblingskolumne, grossartig in ihrer Stringenz und Mischung aus Hundehass und Kinderliebe. So etwas liest man einfach gerne.

Wieso Anocanda andernorts aber darauf kommt, dass Hakan Yakin ein genialer Kopfballer sei, das bleibt wohl sein Geheimnis. Der Titel spielt übrigens an auf ein Auto namens Walter.

9. Und zum Schluss muss ich noch mein momentanes Lieblingsbuch vorstellen, ein Buch, das weder vom Essen noch vom Kochen handelt, sondern höchstens vom Alkohol und seiner Rolle in der europäischen Avantgarde nach dem Zweiten Weltkrieg berichtet. Der Engländer Ralph Rumney (1934 –2002) war Gründungsmitglied der Situationistischen Internationale, wurde aber aus der Bewegung ausgeschlossen, nachdem er mit Pegeen, der Tochter der berühmt-berüchtigten Kunstmäzenin Peggy Guggenheim, liiert war und in psychogeographischem Auftrag in Venedig versackte. Trotzdem trieb sich Rumney weiterhin mit der politischen und künstlerischen Avantgarde wie gewissen Lettristen (Guy Debord, Michele Bernstein oder Asger Jorn) herum. Entgegen den zumeist unverständlichen theoretischen Schriften der S.I. bekommt man bei der Lektüre dieses im Interviewstil gehaltenen Lebensberichts eine Ahnung von der verführerischen Kraft der Revolte, von der unwiderstehlichen Energie des Hungers und des Dursts nach Leben.

Davon wollt ihr doch alle jetzt einmal etwas wissen, oder, ihr Occupy-Leute? Wie das ist, wenn man sich auflehnt – gegen die Kunst, gegen den Alltag, gegen das gewöhnliche Leben, und auch gegen die Küche, in der dieses ganze Zeug zusammengebrutzelt wird!

 

 

 

Playlist:

Roland Barthes: «Mythen des Alltags».
Edition Suhrkamp 2011, 150 Seiten,
SFr 11.90

Es gibt auch die erste vollständige Ausgabe als gebundenes Buch:

Roland Barthes: «Mythen des Alltags».
Suhrkamp 2010, 325 Seiten,
SFr 40.50

Meta Hildebrand: «Meta kocht».
Verlag Walde + Graf, 2011, 142 Seiten,
SFr 48.–

Lea Schindler: «Sheriff de Cuisine».
www.sheriff-de-cuisine.ch, 200 Seiten,
SFr 49.–

Erklärung von Bern (Hrsg.):
«Rohstoff. Das gefährlichste Geschäft der Schweiz»
Salis Verlag, 2011, SFr 34.80

Endo Anaconda: «Walterfahrten».
Secession Verlag, 2011, 190 Seiten,
SFr 28.50

Ralph Rumney: «Der Konsul».
Edition Tiamat, Berlin 2011, 143 Seiten,
SFr 23.50