KURZ UND GUT

von Christian Meyer

 

Jedes neue Werk von Altmeister Jacques Tardi ist ein Genuss. Egal, ob er sich dem Krieg zwischen Ländern oder dem Krieg in der Unterwelt widmet, die Psychologie der Figuren und der soziale Hintergrund sind immer genau gezeichnet. Bei einer Krimi-Adaption wie «Im Visier» von Jean-Patrick Manchette kommen noch eine spannende Dramaturgie, der lakonische Tonfall und starke Plotpoints hinzu. Ein Comic-Noir allererster Güte.

Max Cabanes adaptiert Manchettes letzten Roman «Blutprinzessin». Manchettes Sohn Doug Headline hat den Text dieses umfassenden Sittenporträts des Kalten Krieges bearbeitet. Cabanes‘ Zeichenstil ist ebenso dem Realismus verpflichtet wie Manchettes politischer Krimi auf intensiver Recherche basiert. Ein siebenjähriges Mädchen wird 1950 in den USA entführt und bleibt ohne Lösegeldforderung verschollen. Einige Jahre später scheint die Fotoreporterin Ivy in Kuba auf das Kind zu stoßen. Verschiedene Interessengruppen intervenieren. Ein spannender und intelligenter Roman in einer gelungenen, aufwändigen Adaption.

Emmanuel Moynot wurde zuletzt mit seinen an Jacques Tardi angelehnten Leo-Malet-­Adaptionen ins Deutsche übersetzt. In «Tod eines Blauwals» erzählt er seine eigene Story um den sowohl beruflich als auch privat ins Schlingern geratenen Schriftsteller Simon. Als er auf sein großes Vorbild trifft, folgt eine weitere Enttäuschung. Ständig erwartet man einen Krimiplot, doch Moynot umspielt das Genre nur und erzählt vor allem vom kreativen Akt des Schreibens und der dafür notwendigen Selbsterkenntnis. Stilistisch entfernt er sich ein wenig von den Tardi-Hommages, nicht zuletzt durch die Farbakzente.

Tardi & Manchette: «Im Visier».
Edition Moderne, 106 S., Hardcover, s/w, Euro 24 / sFr. 34.—

Cabanes & Manchette: «Blutprinzessin».
Schreiber & Leser, 160 S., Hardcover, farbig, Euro 24.80 / sFr. 36.90

Emmanuel Moynot: «Tod eines Blauwals».
Schreiber & Leser, 80 S., Hardcover, farbig, Euro 18.80 / sFr. 29.90

 

Joann Sfar und Christophe Blain lassen einen Hund durchs mythische Griechenland dackeln. «Sokrates der Halbhund» begleitet im ersten Band «Herakles». Im zweiten und dritten Band folgen Geschichten um «Odysseus» und «Ödipus». Der philosophierende Hund Sokrates reflektiert deren Handeln, auch wenn er mitunter ein wenig an den treu-doofen Rantanplan erinnert. Blain sorgt für die Zeichnungen, Sfar für die brachialen Wendungen der Geschichte.

Auch Joann Sfars Serie «Professor Bell» vereint Absurdität und Abgründe. Sfar zeichnet Joseph Bell – Arthur Conan Doyles Inspiration zu Sherlock Holmes – als düsteren, drogensüchtigen und der Mystik zugewandten Antihelden. Seine Fälle sind nicht minder bizarr. Die abschließenden Bände 4 und 5 – «Die Gesellschaft der toten Königinnen» und «Die Kobolde Irlands» – zeigen Bell zunehmend als bedrohlichen Psychopathen. Vielschreiber Sfar lässt seine fantastische Serie seit dem dritten Band von Hervé Tanquerelle zeichnen, der Sfars monströses Fin de Siècle wunderbar einfängt.

Im ersten Band «Ehre» aus der Reihe «Für das Imperium» von Bastien Vivés und Merwan fühlt man sich angesichts der römischen Helden trotz der beeindruckenden Farbbilder oft an Frank Millers Epos «300» erinnert, aber schon im Folgeband «Frauen» finden fantastische Elemente Eingang und eine Frauenarmee verunsichert die Kämpfer. Die ungewöhnlich kolorierten Zeichnungen sind nicht minder fantastisch.

Sfar & Blain: «Sokrates der Halbhund», Bände 1 – 3.
Reprodukt, 48 S., Softcover, farbig, Euro 12 / sFr. 19.90

Sfar & Tanquerelle: «Professor Bell», Bände 4 – 5.
avant verlag, 46 S., Softcover, farbig, Euro 14.95 / sFr. 23.90

Vivés & Merwan: «Für das Imperium», Bände 1 – 2.
Reprodukt, 56 S., Softcover, farbig, Euro 12 / sFr. 19.90

 

«Der Mörder weinte» von Thierry Murat ist eine Adaption des Romans von Anne-Laure Bondoux: Ein Fremder tötet die Eltern eines Jungen und zieht in dessen Haus ein. Mit einem eigenwilligen, grobkörnigen Stil fängt Murat die Weite Patagoniens und die Trostlosigkeit des kargen Alltags ein, mit nur wenigen Worten umreißt er das existentielle Drama der Figuren – erschütternd.

Murat & Bondoux: «Der Mörder weinte».
Schreiber & Leser, 128 S., Hardcover, farbig, Euro 18.80 / sFr. 28.90

 

«Gonzo» ist «die grafische Biografie von Hunter S. Thompson», so der Untertitel. Will Bingley und Anthony Hope-Smith stolpern durch das wilde Leben des legendären Radikalen des New Journalism. Typisches Handycap einer knappen Comic-Biografie: Wenn man die Hintergründe kennt, macht’s Spaß, alle anderen werden es mit dem Verständnis etwas schwer haben.
Die subjektive Reportage eines Hunter S. Thompson macht sich der Italiener Igort für seine Comic-Reportage «Berichte aus der Ukraine» zunutze, doch der Gestus ist wesentlich dezenter. Es sind «Erinnerungen an die Zeit der UDSSR», die ihm seine Gesprächspartner bei seinen Reisen erzählen und die er atmosphärisch mit zartem Strich und gedeckten Farben verdichtet. Eingebettet sind die vier Geschichten seiner Interviewpartner in historische Abrisse, Hintergrundinformationen und Igorts eigene Reiseerlebnisse.

Bingley & Hope-Smith: «Gonzo».
Tolkemitt, 180 S., Softcover, s/w, Euro 14.95 – nur über Zweitausendeins

Igort: «Berichte aus der Ukraine».
Reprodukt, 180 S., Softcover, farbig, Euro 24 /sFr. 35.90

 

Österreicher unter sich: Nicolas Mahler adaptiert Thomas Bernhard! «Alte Meister» ist ein Beckett’sches Szenario: Atzbacher wird von Reger ins Museum eingeladen, nur um dessen Hasstiraden gegen die Kunst zu erdulden. Aber so platt und eindimensional sind Regers Ausführungen dann doch nicht. Mahler bringt Bernhards Text lakonisch auf den Punkt und findet oft überraschende und intelligente Bilder für Regers Monolog.

Mahler & Bernhard: «Alte Meister».
Suhrkamp, 158 S., Softcover, s/w, Euro 18.99 / sFr. 27.50

 

Howard Cruses «Stuck Rubber Baby» war schon in den 90er-Jahren ein Graphic-Novel-Klassiker, lange bevor der Begriff Inflation hatte. Die Geschichte um den jungen Toland, der mit seinem Coming-out kämpft, ist im Jahr 1963 – inmitten der aufkommenden Rassenunruhen im Süden der USA – angesiedelt. Die Veröffentlichung von Carlsen unter dem Titel «Am Rande des Himmels» aus dem Jahr 1996 gilt schon lange als vergriffen, und so ist die Neuauflage im Hardcover sicher für viele die erste Gelegenheit, dieses eindringliche, mit seinen sehr plastischen Schwarzweiß-Zeichnungen an Robert Crumb erinnernde Werk kennen zu lernen.

Howard Cruse: «Stuck Rubber Baby».
Cross Cult, 240 S., Hardcover, s/w, Euro 26 / sFr. 37.90

 

Nach «Ein Mann geht an die Decke» ist «Patchwork» Katharina Greves zweiter Comic und steht ihrem Debüt an Skurrilität in nichts nach: Eine Wissenschaftlerin bastelt sich aus Körperresten eine Familie, muss dann aber vor der Presse, dem sensationsgeilen Mob und interessierten Firmen fliehen. Eine humanistische Groteske über Andersartigkeit und Moral.

Katharina Greve: «Patchwork».
Gütersloher Verlagshaus, 80 S., Softcover, s/w, Euro 14.99 / sFr. 21.90

 

Ende der 60er-Jahre entwickelte Yoshihiro Tatsumi realistischere Manga für Erwachsene und nannte sie Gekiga. «Existenzen» ist eine Sammlung einiger seiner düsteren Kurzgeschichten. 13 beeindruckende Dramen, welche die moralischen Abgründe der Menschen untersuchen. Für Februar ist seine 850 Seiten umfassende Autobiografie «Gegen den Strom» angekündigt.

Yoshihiro Tatsumi: «Existenzen».
Carlsen, 320 S., Softcover, s/w, Euro 19.90 / sFr. 28.50

 

Der Kölner Cartoonist Leo Leowald legt mit «Stopptanz» den dritten Sammelband seines Comic-Blogs «Zwarwald» vor. Nach seinem Babybuch «Raues Sitten» zieht es auch ihn zu den Abgründen: Amokläufer, Albträume, Shizophrenie und Gespenster schleichen durch den abseitigen Humor, dessen Entschlüsselung die fehlenden Post-Titel des Blogs erleichtert hätten.

Leo Leowald: «Stopptanz».
Reprodukt, 192 S., Softcover, farbig, Euro 18 / sFr. 27.90

 

Nach ihrem Meisterwerk «Der Incal» haben Alejandro Jodorowsky und Moebius in den 90er- Jahren an der dreibändigen Geschichte «Lust & Glaube» gearbeitet. Die grafische Weite des Incal wird hier wieder enger, die Story um einen Philosophie-Professor an der Sorbonne, der auf drei religiöse Fanatiker stößt, öffnet sich zunehmend dem Wahnsinn. Es scheint fast, als würde hier Moebius‘ eigene Erfahrung in einer UFO-Sekte kathartisch durchlaufen – hysterisch und unter Einsatz von Körperflüssigkeiten aller Art. Der Verlag Schreiber & Leser veröffentlicht erstmals die drei Alben der Geschichte als Sammelband.

Moebius & Jodorowski: «Lust & Glaube».
Schreiber & Leser, 192 S., Hardcover, farbig, Euro 29.80 / sFr. 42.90