KURZ UND GUT | |
von Christian Meyer |
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Jedes neue Werk von Altmeister Jacques Tardi ist ein Genuss. Egal, ob er sich dem Krieg zwischen Ländern oder dem Krieg in der Unterwelt widmet, die Psychologie der Figuren und der soziale Hintergrund sind immer genau gezeichnet. Bei einer Krimi-Adaption wie «Im Visier» von Jean-Patrick Manchette kommen noch eine spannende Dramaturgie, der lakonische Tonfall und starke Plotpoints hinzu. Ein Comic-Noir allererster Güte. Tardi & Manchette: «Im Visier». Cabanes & Manchette: «Blutprinzessin». Emmanuel Moynot: «Tod eines Blauwals».
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Joann Sfar und Christophe Blain lassen einen Hund durchs mythische Griechenland dackeln. «Sokrates der Halbhund» begleitet im ersten Band «Herakles». Im zweiten und dritten Band folgen Geschichten um «Odysseus» und «Ödipus». Der philosophierende Hund Sokrates reflektiert deren Handeln, auch wenn er mitunter ein wenig an den treu-doofen Rantanplan erinnert. Blain sorgt für die Zeichnungen, Sfar für die brachialen Wendungen der Geschichte. Sfar & Blain: «Sokrates der Halbhund», Bände 1 – 3. Sfar & Tanquerelle: «Professor Bell», Bände 4 – 5. Vivés & Merwan: «Für das Imperium», Bände 1 – 2.
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«Der Mörder weinte» von Thierry Murat ist eine Adaption des Romans von Anne-Laure Bondoux: Ein Fremder tötet die Eltern eines Jungen und zieht in dessen Haus ein. Mit einem eigenwilligen, grobkörnigen Stil fängt Murat die Weite Patagoniens und die Trostlosigkeit des kargen Alltags ein, mit nur wenigen Worten umreißt er das existentielle Drama der Figuren – erschütternd. Murat & Bondoux: «Der Mörder weinte».
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«Gonzo» ist «die grafische Biografie von Hunter S. Thompson», so der Untertitel. Will Bingley und Anthony Hope-Smith stolpern durch das wilde Leben des legendären Radikalen des New Journalism. Typisches Handycap einer knappen Comic-Biografie: Wenn man die Hintergründe kennt, macht’s Spaß, alle anderen werden es mit dem Verständnis etwas schwer haben. Bingley & Hope-Smith: «Gonzo». Igort: «Berichte aus der Ukraine».
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Österreicher unter sich: Nicolas Mahler adaptiert Thomas Bernhard! «Alte Meister» ist ein Beckett’sches Szenario: Atzbacher wird von Reger ins Museum eingeladen, nur um dessen Hasstiraden gegen die Kunst zu erdulden. Aber so platt und eindimensional sind Regers Ausführungen dann doch nicht. Mahler bringt Bernhards Text lakonisch auf den Punkt und findet oft überraschende und intelligente Bilder für Regers Monolog. Mahler & Bernhard: «Alte Meister».
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Howard Cruses «Stuck Rubber Baby» war schon in den 90er-Jahren ein Graphic-Novel-Klassiker, lange bevor der Begriff Inflation hatte. Die Geschichte um den jungen Toland, der mit seinem Coming-out kämpft, ist im Jahr 1963 – inmitten der aufkommenden Rassenunruhen im Süden der USA – angesiedelt. Die Veröffentlichung von Carlsen unter dem Titel «Am Rande des Himmels» aus dem Jahr 1996 gilt schon lange als vergriffen, und so ist die Neuauflage im Hardcover sicher für viele die erste Gelegenheit, dieses eindringliche, mit seinen sehr plastischen Schwarzweiß-Zeichnungen an Robert Crumb erinnernde Werk kennen zu lernen. Howard Cruse: «Stuck Rubber Baby».
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Nach «Ein Mann geht an die Decke» ist «Patchwork» Katharina Greves zweiter Comic und steht ihrem Debüt an Skurrilität in nichts nach: Eine Wissenschaftlerin bastelt sich aus Körperresten eine Familie, muss dann aber vor der Presse, dem sensationsgeilen Mob und interessierten Firmen fliehen. Eine humanistische Groteske über Andersartigkeit und Moral. Katharina Greve: «Patchwork».
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Ende der 60er-Jahre entwickelte Yoshihiro Tatsumi realistischere Manga für Erwachsene und nannte sie Gekiga. «Existenzen» ist eine Sammlung einiger seiner düsteren Kurzgeschichten. 13 beeindruckende Dramen, welche die moralischen Abgründe der Menschen untersuchen. Für Februar ist seine 850 Seiten umfassende Autobiografie «Gegen den Strom» angekündigt. Yoshihiro Tatsumi: «Existenzen».
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Der Kölner Cartoonist Leo Leowald legt mit «Stopptanz» den dritten Sammelband seines Comic-Blogs «Zwarwald» vor. Nach seinem Babybuch «Raues Sitten» zieht es auch ihn zu den Abgründen: Amokläufer, Albträume, Shizophrenie und Gespenster schleichen durch den abseitigen Humor, dessen Entschlüsselung die fehlenden Post-Titel des Blogs erleichtert hätten. Leo Leowald: «Stopptanz».
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Nach ihrem Meisterwerk «Der Incal» haben Alejandro Jodorowsky und Moebius in den 90er- Jahren an der dreibändigen Geschichte «Lust & Glaube» gearbeitet. Die grafische Weite des Incal wird hier wieder enger, die Story um einen Philosophie-Professor an der Sorbonne, der auf drei religiöse Fanatiker stößt, öffnet sich zunehmend dem Wahnsinn. Es scheint fast, als würde hier Moebius‘ eigene Erfahrung in einer UFO-Sekte kathartisch durchlaufen – hysterisch und unter Einsatz von Körperflüssigkeiten aller Art. Der Verlag Schreiber & Leser veröffentlicht erstmals die drei Alben der Geschichte als Sammelband. Moebius & Jodorowski: «Lust & Glaube».
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