EDITORIAL

Die einen lieben die Berge, die andern mögen sie nicht und den dritten sind sie ziemlich egal und ziemlich weit weg. Ich selber habe ein seltsam distanziertes Verhältnis zum Hohen und Steilen. In meiner Jugend verbrachte ich einen grossen Teil meiner Zeit, die nicht mit Schule, Ausbildung und sonstigen Alltagspflichten verplant war, in den Bergen. Ausgewachsen standen die nächsten Felsen schon in Blickweite. Zwar sind die Höhen des Juras bewaldet und auch die Schroffheit hält sich in Grenzen. Immer wieder aber bricht Fels aus dem hügligen, dem moderaten Auf und Ab, ideales Gelände für die ersten Kletterversuche. Aber schon bald werden aus Kraxeleien ambitionierte Klettertouren und das Vorgebirge wird zum Übungsgelände. Mehr soll es sein, höher hinauf, schwieriger die Tour, Höhenmeter werden zum Ansporn. Alles wird an der Horizontalen gemessen. Die Berge werden zur sportiven Herausforderung. Die Glieder schmerzen, die Augen brennen und die Füsse bluten. Adrenalin wird freigesetzt. Sonne, Eis, Schnee und Fels setzten sich in starken Bildern im Kopf fest, werden in schwarzen Nächten in Berghütten zu Halluzinationen und Albträumen.

Aber irgendwann wurde mir das ganze alpinistische Umfeld zu hermetisch, zu dogmatisch. Vor allem die Nächte, nein die Abende in den Hütten der Alpen- und Wandervereine wurden zur Pein. Der Mief, der jene Abende prägte, ist mir heute noch so präsent als wäre es gestern gewesen. Diese rückwärtsgewandte Ideologisierung des Alpinen als urschweizerisches Rückzuggebiet von allem Bösen und Schlechtem aus dem urbanen Raum macht mich heute, dreissig Jahre später noch schaudern. Kein Bewusstsein, das diese Identi­fikation des Nationalen im alpinen Raum eine Erfindung des späten neunzehnten, frühen zwanzigsten Jahrhunderts ist, entstanden aus dem Fehlen einer historisch gewachsenen Identität. Aus dieser Stimmung, verbunden mit der Besinnung aufs sogenannte

Einfache, dass sich dann vor allem in schrecklichem Convenience Food in Form von Beutelsuppen der Marken Knorr oder Maggi, in kratzenden, muffigen Wolldecken und dem rüdem Ton von Hüttenwarten zeigte, gab es kein Entkommen. Ausser man ging einfach nicht mehr hin, und verzichtete auf die Berge.

Einige Jahre später fand ich für mich einen anderen Zugang zu den Bergen. Das Sportliche hatte sich mit dem Konsum von Zigaretten zuhauf und dem Konsum anderer Suchtmittel eh relativiert. Das Tempo, der Rhythmus war langsamer und gemächlicher geworden. In dieser Zeit tat sich für mich ein ganz anderer Zugang zum Berg auf. Ich nahm mir Zeit; Zeit für mehrere Tage am gleichen Ort, um die Veränderung der Landschaft mitzubekommen. Im Frühjahr und Herbst kann sich vieles in nachvollziehbarem Zeitrahmen verändern. Ich gehe auch öfters immer wieder an den gleichen Ort. Der Gipfel ist nicht mehr das primäre Ziel. Viel wichtiger sind Stimmungen, das Wetter, das Licht. Für dieses STRAPAZIN haben wir Autorinnen und Autoren gesucht, die diesen Moment auch suchen. Neben Illustration und Comic ist Fotografie ein wichtiges Medium in dieser Nummer. Mit Reto Camenisch haben wir einen wichtigen Vertreter der Schweizer Fotografie in STRAPAZIN, der sich mit dem Thema Berg seit längerer Zeit auseinandersetzt. Demgegenüber gehört Bruno Augsburger zu einer jüngeren Generation von Fotografen. Einen grossen Teil seiner Zeit verbringt er in der Wildnis in Kanada und Skandinavien. Seine Bilder riechen nach Schnee. Bei den Zeichnerinnen und Zeichner haben wir auf Vorhandenes und Neues gesetzt. Es ist uns wichtig, verschiedene mediale Zugänge aufzuzeigen und damit auch zu hinterfragen, was das jeweilige Medium besser oder anders als sein Gegenüber kann.


Viel Vergnügen wünscht

Roli Fischbacher

Fotografie: Bruno Augsburger «No Name Mountain»