Ich werde diese Vorurteile bis zu meinem Tod in mir tragen. /
Ein Interview von Christian Gasser mit dem südafrikanischen Comic-Autor, Künstler und Bitterkomix-Macher Conrad Botes alias Konradski.

aus Conrad Botes' Tagebücher

Illustrationen: Seiten aus Conrad Botes' Tagebüchern


Seinen ersten Comic zeichnete Conrad Botes 1988: Ein Pamphlet wider die obligatorische Wehrpflicht, die ihn, als 19-jährigen weißen Südafrikaner, unmittelbar bedrohte.

Vier Jahre später, das Apartheid-Regime lag in seinen letzten Zügen, rief er zusammen mit Anton Kannemeyer Bitterkomix (siehe Seite 20) ins Leben, eine Comic-Zeitschrift, die vehement und kompromisslos mit der Identität und der Kultur der Afrikaander abrechnete. Das war eine großartige Provokation und machte Botes und Kannemeyer zu umstrittenen Berühmtheiten.

Botes, der sich in den Neunzigerjahren auch als Illustrator einen Namen gemacht hat und heute vor allem als freier Künstler erfolgreich ist, umkreist in seinen Comics hartnäckig die Gründungsmythen der Afrikaander oder – in jüngerer Zeit – biblische Geschichten und Märchen. Er analysiert und unterläuft historische Ereignisse und archetypische Legenden und reflektiert ihre Wirkung auf die Psychologie der Afrikaander und sucht auf diesem Weg nach Erklärungen für die Apartheid.

So erzählt er immer wieder Geschichten aus der Zeit des großen Trecks um 1830, als rund 15'000 Afrikaander mit Ochsenwagen, Bibeln und Gewehren die britisch beherrschte Kap-Kolonie verließen und jenseits der Zivilisation in der Wildnis ihre eigenen Republiken gründeten, in denen sie als Bauern lebten, als Buren. In seiner wohl berühmtesten Geschichte «Bloodriver» zeichnete er die legendäre Schlacht vom 16. Dezember 1838 nach, in der 3'000 Zulukrieger starben, während die Afrikaander gerade einmal zwei Verletzte zu beklagen hatten. – Im Selbstverständnis der Afrikaander war das der Moment, in welchem Gott sie zu seinem auserwählten Volk machte. In den meisten Geschichten stehen burische Hillbillies im Mittelpunkt, derbe, ungebildete, maßlose, fanatische und gefährliche Hinterwäldler, die in einer von einem strengen calvinistischen Gott eingezäunten Welt leben. Wie seine Geschichten sind auch seine Zeichnungen: rau, archaisch und intensiv.

Eine ähnliche Intensität strahlt auch Conrad Botes aus. Hinter seinem Bart und seiner bedächtigen, überlegten Sprechweise lauert eine athletische Anspannung, und sein Blick ist – wie das Selbstporträt auf dem Cover dieser STRAPAZIN-Ausgabe unterstreicht – kaum weniger leidenschaftlich als derjenige seiner Figuren.

Christian Gasser besuchte Conrad Botes alias Konradski in seinem Atelier in Kapstadt, eine riesige Halle in einem zerfallenden Fabrikkomplex.

 

aus Conrad Botes' Tagebücher

 

Conrad Botes, auch rund zwanzig Jahre nach ihrem Ende bleibt die Apartheid ein zentrales Thema in Deiner Arbeit. Warum?

Conrad Botes: Südafrika ist das Resultat dessen, was in der Vergangenheit geschah, und das versuche ich, in meiner Arbeit sichtbar zu machen. Auch wenn wir seit 1994 in einer Demokratie leben, wird es noch Generationen dauern, bis sich die Mentalitäten wirklich verändert haben und wir in der Lage sein werden, den ganzen Schmerz und das Leiden zu vergessen. Bis dahin ist es aber wichtig zu verstehen, was geschehen ist. Das gegenwärtige Südafrika kann man nicht begreifen, ohne die Psychologie der Menschen der letzten 300 Jahre hinterfragt zu haben. Deshalb meine Obsession für historische Ereignisse, die ich neu interpretiere, manchmal sarkastisch, manchmal ironisch, immer subjektiv.

Du greifst mit Vorliebe auf gewisse Gründungsmythen der Afrikaander zurück, auf den großen Treck etwa, auf die Schlacht am Bloodriver.

CB: Diese historischen Ereignisse hat man uns unablässig ins Gehirn geprügelt – in der Kirche, in der Schule, zuhause. Die Voortrekker, die in den Busch zogen, um sich der Herrschaft der Engländer zu entziehen. Die heroischen Schlachten der Buren gegen die Zulus und die Engländer. Das waren die Blaupausen unserer Identität, und sie legitimierten die Apartheid: Die Afrikaander betrachteten sich als Gottes auserwähltes Volk, und das gab uns das Recht, andere zu unterdrücken. Indem ich die ganze Mythologie, die sich um diese Ereignisse rankt, unterlaufe, versuche ich zu ergründen, was wirklich geschah – und wie es zur Apartheid kommen konnte.

Ich vermute, dass Du als Kind diese Geschichten begeistert und unkritisch in Dich aufsogst wie kleine Schweizer die Wilhelm-Tell-Legende.

CB: Das Ausmaß der Indoktrination, der wir ausgesetzt waren, ist für Europäer schwierig nachzuvollziehen. Schule, Kirche, Staat und Familie – die Gehirnwäsche fand auf allen Ebenen statt, und an der Hierarchie wurde nie gerüttelt. Wer die Ideologie nicht akzeptierte, sich nicht anpasste oder sein Missfallen zu deutlich bekundete, wurde von der burischen Gemeinschaft gebrandmarkt. Nicht nur die Überzeugung und die Indoktrination, sondern auch die Heuchelei sowie die Passivität der Afrikaander stützten das System. Umso tiefer waren dann der Schock und das Gefühl, betrogen worden zu sein, als wir herausfanden, was tatsächlich los war.

Was wurde Dir über die Schwarzen beigebracht?

CB: Wir wurden gewarnt, dass sie gewalttätig seien, nicht intelligent, und einer Lebensweise frönten, die wir Weißen nicht verstehen könnten. Als wir aufwuchsen, wussten wir nur wenig. Den Namen Nelson Mandela hörte ich zum ersten Mal ziemlich spät, und von der Existenz des ANC erfuhr ich erst nach der Explosion einer Autobombe in der Church Street in Pretoria, 1983, ich war vierzehn. Ich wollte wissen, was der ANC sei. Eine schwarze Terroristenbande, wurde mir gesagt. Aber warum, insistierte ich, legen die Schwarzen Bomben? Weil sie Terroristen seien und uns an den Kragen wollten. Natürlich befriedigte mich diese Antwort nicht, aber mehr war nicht herauszukriegen.

Zu welchem Zeitpunkt hast Du gespürt, dass in Südafrika etwas nicht in Ordnung ist?

CB: Meine Kindheit war sehr glücklich. Meine Eltern, zwei Lehrer, waren durchaus korrekte Menschen, doch wie die meisten Afrikaander ihrer Generation hinterfragten sie die Apartheid und ihre Werte in keinem Moment. Mein Vater war der archetypische junge Afrikaander; er war überzeugt, dass Regierung und Kirche das Richtige taten und dass seine Familie den politischen und gesellschaftlichen Codes gehorchen musste. Ich begann zwar bereits in der Schule zu ahnen, dass irgendetwas nicht richtig sein konnte, doch traute ich mich nicht zu widersprechen. Wer widersprach, wurde als Störenfried und subversives Element abgestempelt und von den anderen gemieden, und da ich wegen meiner künstlerischen Neigungen ohnehin ein Außenseiter war, versuchte ich, möglichst nicht aufzufallen. Als Student an der Universität wurden für mich die Risse in der Fassade unserer heilen Welt immer offensichtlicher; außerdem wurde ich mir bewusst, dass es möglich war, seine Stimme zu erheben, ohne gleich verprügelt zu werden. Ich forderte meinen Vater heraus, ich verfluchte die Kirche, ich drohte, ich würde die kommunistische Partei und den ANC wählen ... – es kam zu fürchterlichen Auseinandersetzungen. Andererseits hat mein Vater – im Gegensatz zu vielen Afrikaandern seiner Generation – nach dem Ende der Apartheid die Irrtümer und den Irrsinn eingesehen und sich wirklich davon gelöst.

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aus Conrad Botes' Tagebücher

Illustrationen: Seiten aus Conrad Botes' Tagebüchern


Bitterkomix

Als sich Anton Kannemeyer (alias Joe Dog) und Conrad Botes (alias Konradski) 1988 kennenlernten, herrschten in Südafrika bürgerkriegsähnliche Zustände. Nach und nach wurden auch junge weiße Südafrikaner trotz Zensur und Repression gewahr, was in ihrem Land geschah und begannen, sich gegen die Apartheid aufzulehnen. 1992 – zwei Jahre nach der Freilassung Nelson Mandelas und zwei Jahre vor den ersten demokratischen Wahlen und dem Erdrutschsieg des ANC – veröffentlichten Botes und Kannemeyer die erste Ausgabe von Bitterkomix. Zwanzig Jahre später, im Herbst 2012, erscheint das 16. Heft.

«Bitterkomix», so Kannemeyer, «war unsere Reaktion nicht nur auf die Apartheid, sondern allgemein auf die repressive und verklemmte christlich-nationale Kultur der Afrikaander und ihre Tabus betreffend Sex, Rassismus, Homophobie, Frauenfeindlichkeit…»

Bitterkomix, das konsequent in Afrikaans erscheint, schlug ein wie eine Bombe. Kannemeyer und Botes machten sich bei vielen Afrikaandern, welche die Apartheid und ihre eigene Mitschuld am liebsten möglichst rasch verdrängt hätten, verhasst und hatten wiederholt Probleme mit den Zensurbehörden – ironischerweise auch unter der ANC-Regierung. Auch aus unserer zeitlichen und räumlichen Distanz ist die provokative Explosivität ihrer Comics nachvollziehbar: Kannemeyer und Botes begnügten sich nie mit der klassischen Satire, die aus besserwisserischer Distanz anprangert. Sie stecken mittendrin in ihrer Kultur und verarbeiten ihr Aufwachsen zwischen Privilegien und Repression, setzen sich mit der Schuld ihrer Eltern, ihrer eigenen Passivität und der Identität als weiße Südafrikaner auseinander, aber auch mit den Entwicklungen und Veränderungen im (weißen) Südafrika der Nach-Apartheid-Zeit.

Jahrzehntelang hatte die Apartheid Nicht-Weiße unterdrückt. Der ideologische Überbau der Rassentrennung durchdrang aber auch das Leben der Afrikaander: Regierung, Kirche und Schule malten das Bild einer von inneren und äußeren Feinden bedrohten Heimat und geißelten mit calvinistischer Strenge Mode, Popmusik und Sittenverfall. «Das ideologische Ziel unserer Erziehung war offensichtlich», erzählt Kannemeyer: «Man wollte uns Angst einflössen. Angst vor der schwarzen Gefahr, Angst vor der roten Gefahr, Angst vor der Sexualität und so weiter. Die Aussage war klar: Es ist fremd, deshalb müssen wir uns davor beschützen. »

Auch wenn Conrad Botes gerne geschichtliche Ereignisse aufarbeitet und Anton Kannemeyer die Apartheid auf konzeptionell-intellektuelle Weise reflektiert und auseinandernimmt, sind viele der stärksten Geschichten in Bitterkomix autobiographisch geprägt – Geschichten von häuslicher Gewalt und von Inzest, von paramilitärischem und religiösem Drill in der Schule, von Indoktrination und Prügelstrafen, von Ignoranz und Heuchelei sowie einer völlig verkorksten Sexualität. «Ich erlebte», so Kannemeyer, «meine Pubertät als eine sehr düstere Zeit, verklemmt und ohne Hoffnung. Viele unserer Comics waren kathartisch.»

 

Bibliographie: (Auswahl)

«Rats et chiens», Cornélius, Paris, 2009
«La bande à Foster», L‘Association, Paris, 2011

Mit Anton Kannemeyer: «Bitterkomix»

Afrikaans: 16 Ausgaben, diverse (Eigen-)Verlage, Kapstadt/Johannesburg, 1992–2012
Englisch: «Best of Bitterkomix», 2 Bände, Bitterkomix, Kapstadt, 1998 und 2002
«Big Bad Bitterkomix Handbook», Jacana Media, Johannesburg, 2006
Französisch: «Bitterkomix», L‘Association, Paris, 2009

Weblink: www.artprintsa.com/conrad-botes.html