Paradies und Hölle / Ein Portrait des finnischen Comic-Autors
Ville Ranta. Von Christian Gasser.

 

Ville Ranta ist, hat man bisweilen den Eindruck, der einzige Finne, der nicht in Helsinki, Turku oder Tampere lebt, sondern im hochnordischen Oulu, dort wo die Winter endlos und bedrückend finster und die Sommer kurz und berückend hell sind.

Der 1978 geborene Ranta – Comic-Autor, Karikaturist, Dozent und Verleger – gehört seit einem Dutzend Jahren zu den Schlüsselfiguren der regen finnischen Comic-Szene, und seine Comics werden mit Erfolg auch in Frankreich veröffentlicht.

Mit lockerem Strich und erzählerischer Verve, reflektiert und erzählt er humorvoll Autobiographisches, Essayistisches und Fiktionales – immer aber umkreisen seine Comics existenzielle Krisen, in deren Protagonisten der Autor sich selber spiegelt.

Auf Deutsch erschien im Frühjahr 2012 «Paradies» – die Veröffentlichung von «Kajaani» ist in Vorbereitung.

Christian Gasser

 

aus Ville Ranta - Paradies

aus Ville Ranta - Paradies

Illustrationen aus dem Buch «Paradies»


Adam und Eva, der Garten Eden, der Baum der Erkenntnis, die Schlange und der Apfel, der Sündenfall, Gottes Zorn, die Vertreibung aus dem Paradies. Diese Geschichte, die zu den fundamentalen Mythen der christlichen Kultur gehört, kennen wir bestens oder zumindest glauben wir, sie zu kennen; sie ist ein Dauerbrenner, immer wieder analysiert und neu ausgelegt.

Als Ville Ranta vor einigen Jahren – im Auftrag der lutherischen Kirche Finnlands, die den Austausch mit nicht-gläubigen Künstlern suchte – eine Geschichte über Adam und Eva zeichnete, stellte er fest, «dass diese Legende mir erlaubte, mich mit Themen auseinanderzusetzen, die mich gerade quälten: Mit Lust, Schuld, Liebe, Sexualität; mit Fragen nach Grenzen und Gesetzen, Verboten und Freiheiten.» So entwickelte sich der Auftrag zum 72 Seiten kurzen gezeichneten Essay «Paradies» (auf Deutsch bei Reprodukt), in welchem Ranta in vier mit lockerem Strich improvisierten Variationen diesen biblischen Evergreen umkreist und überraschend viele alte und neue und lang nachhallende Fragen aufwirft. «Aber es ist kein Buch über die Religion», betont er, «sondern über die Liebe.»

Am Anfang war – in Rantas Deutung jedenfalls – die Entdeckung der Lust. Und als Adam und Eva spürten, dass die Sexualität gut und schön war, wollten sie mehr davon, immer mehr. Leicht kommt diese erste Variation daher, frivol und bunt. Ville Rantas skizzenhafter Strich und seine frei hingetupften und gekleckerten Aquarellfarben verströmen Wärme, Glück und Erfüllung.

Bereits in der zweiten Version des Sündenfalls indes, weitgehend aus dem Blickwinkel Gottes erzählt, wird der Ton schärfer und bitterer. Der Schöpfer wandelt selbstzufrieden, aber schrecklich einsam durch das Paradies. Er sieht zwar, dass alles gut ist – aber er fühlt sich unverstanden. «Mir wurde klar», klagt er, «Adam würde nie etwas kapieren. Ewig würde ich an meiner einsamen Liebe leiden. Es sei denn…» – Und auf der nächsten Seite reicht die Schlange den Menschen die verbotene Frucht. Zufall? Oder etwa Gottes Wille?

Ein Kobold mit klobigen Händen

Adam und Evas Weg in die Freiheit – zu Bewusstsein und Selbstbestimmung, aber auch zur Sterblichkeit – ist mühselig und dornig. Schließlich stranden sie im Exil, in einer, so Ranta, «öden und grausamen Welt.» Bei aller Ernsthaftigkeit und intellektueller Gründlichkeit bleibt Rantas Ton auch in den schwärzesten Momenten verspielt und beschwingt. «Humor und Nachdenken passen gut zueinander», sagt Ranta, er redet ruhig und wählt seine Worte mit Bedacht, «denn der Humor verhindert den Verlust der Bodenhaftung.» Ohnehin sei sein Stil immer humoristisch und dekonstruktivistisch. Das wird in seiner Darstellung Gottes besonders gut sichtbar: Ein unförmiger, geisterhafter Kobold mit riesigen Händen. «Hat Gott nicht eigenhändig die ganze Welt erschaffen?», so Ranta rhetorisch. «Dazu brauchte er doch große, starke Hände.»

Sein Essay sei zwar satirisch, aber nicht als Kritik an der Religion gedacht. Er selber glaube nicht an Gott und begrüsse es, dass die christliche Religion in unserer Gesellschaft an Bedeutung verloren habe. «Andererseits finde ich, die Europäer müssten ihre Religion besser kennen. Ob man glaubt oder nicht, ist unwichtig – aber wir sollten uns bewusst sein, dass die Religion ein entscheidender Teil unserer Kultur ist, unserer Geschichte, unseres intellektuellen und spirituellen Lebens. Komischerweise scheinen viele Europäer geradezu Angst vor dem Religiösen zu haben.»

Die Schützenhilfe des Propheten

Ville Ranta glaubt nicht an Gott – und doch setzt er sich immer wieder mit religiösen Themen auseinander, seit er mit einem satirischen Kommentar zur Affäre um die dänischen Mohammed-Karikaturen einen Skandal auslöste. In einem Comic für die Kulturzeitschrift Kaltio verspottete er indes keineswegs den Propheten, sondern den vorauseilenden Gehorsam von Behörden und Medien gegenüber den Druck- und Zensurbemühungen islamischer Kreise. «Das ist sehr finnisch», so Ranta, «wir ziehen es vor zu schweigen und uns nicht einzumischen.» Ironischerweise fiel der Chefredakteur der Zeitschrift genau diesem vorauseilenden Gehorsam zum Opfer: Er wurde wegen Rantas Comic gefeuert. Ranta wähnte seine Karriere als Pressezeichner am Ende, doch das Gegenteil geschah: «Mein Comic wurde zum Zentrum einer heftigen Debatte über Meinungsfreiheit und Selbstzensur, und bald stellten sich die meisten Medien hinter uns und kritisierten die Entlassung.» Diese Debatte machte Ville Ranta berühmt. «Plötzlich erhielt ich von zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften Aufträge als politischer Karikaturist, die ich natürlich nicht ablehnte – ich fühlte mich schon immer zur Karikatur hingezogen, und dass ich nun damit meinen Lebensunterhalt verdiene, ist wunderbar.»

Das war 2006. Da war Ville Ranta längst eine wichtige Figur in der finnischen Comic-Szene. Mit dreizehn Jahren veröffentlichte er sein erstes Fanzine, dann studierte er – weil er eigentlich Schriftsteller werden wollte – Literatur in Helsinki. Doch das Zeichnen ließ ihn nicht los. «Eine Zeichnung ist ungemein kraftvoll, stärker jedenfalls als meine Worte. Mit Linien und Flächen die Realität lebendig werden zu lassen, ist ein magischer Prozess.»

... Fortsetzung / to be continued in STRAPAZIN no: 108 -> bestellen / order

 

Bibliographie: (Auswahl)

«Paradies», Reprodukt Verlag, Berlin, 2012

«Isi on nyt vähän väsynyt», Asema, Oulu, 2005
Französisch: «Papa est un peu fatigué», ça et là, Bussy Saint-Georges, 2006

«Kajaani», Asema, Oulu, 2008
Französisch: «L‘exilé du Kalevala», ça et là, Bussy Saint-Georges, 2010;
die deutsche Ausgabe ist bei Reprodukt in Vorbereitung.

«Célebritiz» mit Lewis Trondheim, Dargaud, Paris, 2006

Weblink: www.villeranta.com