KURZ UND GUT

von Christian Meyer

 

Arne Jysch legt mit „Wave and Smile“ einen Comic zum Afghanistan-Konflikt vor. Er behandelt das Thema zwar ‚embedded‘, also aus der Perspektive der Armee, aber es ist keine der zurzeit so beliebten Comic-Reportagen. Die Story um einen Bundeswehrsoldaten, der bei einem Einsatz einen Kameraden als Gefangenen der Taliban verliert und ihn daraufhin auf eigene Faust sucht, ist fiktiv und neigt zu Action. Doch andererseits ist Jysch mit vielen Wendungen bemüht, möglichst viele Seiten des Konflikts aufzuzeigen. Für ein Debüt ist ihm das überraschend elegant gelungen (Carlsen).

Arne Jysch: „Wave and Smile“.
Carlsen, 200 S., Hardcover, farbig, Euro 24.90 / sFr. 35.50

 

Alan Moore und Kevin O‘Neill versetzen nach „1910“ ihre „Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ nun ins Jahr „1969“. O‘Neill kann sich da farbenprächtig austoben, während Moore die Aufmerksamkeit des Lesers wieder mächtig fordert. Psychedelische Albträume und schwarze Messen sorgen nicht gerade für klare Verhältnisse, als unsere inzwischen unsterblichen Helden gegen einen tödlichen Magier antreten. Turbulent und mal wieder bis zum Bersten aufgeladen mit literarischen, philosophischen und popkulturellen Anspielungen.

Alan Moore & Kevin O‘Neill: „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen: 1969“.
Panini, 84 S., farbig, Softcover, Euro 12.95 / sFr. 18.90

 

Nach „Faust“ nimmt sich Flix „Don Quijote“ vor und verlegt den Stoff ins Hier und Jetzt. Don Quijote ist ein Querulant vor dem Herrn – eine nörgelnde Plage, die in seinem spleenigen Enkel einen Verbündeten sieht für seine wahnhaften Feldzüge zwischen Altersheim, Berlin-Mitte und dem Umland. Flix macht daraus ein surreales Spektakel allererster Güte.

Flix: „Don Quijote“.
Carlsen, 144 S., Hardcover, s/w, Euro 16.90 / sFr. 34.50

 

„Metro“ von Magdy El-Shafee ist in Ägypten verboten, weil es angeblich gegen die Moral verstösst und mit der Korruption abrechnet. Künstlerisch ist das vielleicht das Problem des Comics, der nur wenig subtil ist, sondern recht grob alle dem Autor wichtigen Themen einbaut. Auch der wilde Zeichenstil ändert sich scheinbar willkürlich. Einerseits kann man nur froh sein, dass ein solches künstlerisches Dokument überhaupt erscheint. Andererseits ist der atemlose, wilde und zuweilen wirre Stil vielleicht auch das adäquate Mittel, die atemlosen, wilden und wirren Ereignisse in Nordafrika abzubilden.

Magdy El-Shafee: „Metro“.
Edition Moderne, 104 S., Softcover, s/w, Euro 18.- / sFr. 22.80

 

„Die Krankenschwester“ ist der letzte Teil von Jeff Lemires bewegender Essex-County-Trilogie, dessen schlichte, kantige Zeichnungen einen falschen Eindruck vermitteln könnten. Mit dem ersten Band hatte Lemire die Freundschaft eines Waisenjungen mit einem schrulligen Tankstellenwärter skizziert, während der zweite Band einen Ausflug in die Vergangenheit machte. „Die Krankenschwester“ ist nun sowohl in der Gegenwart als auch in der ferneren Vergangenheit angesiedelt, und am Ende schließen sich alle Kreise dieses ruhigen, melancholischen und tief bewegenden Porträts eines einsamen Landstrichs und seiner Bewohner.

Jeff Lemires: „Essex County: Die Krankenschwester“.
Edition 52, 128 S., Softcover, s/w, Euro 12.- / sFr. 19.40

 

„Grandville“ von Bryan Talbot ist ein düsterer Steampunk-Krimi. Frankreich beherrscht Europa, Britannia hat sich eine geduldete Autonomie erkämpft. Doch Terroristen bedrohen das labile System. Kommissar LeBrock muss einen Diplomatenmord aufdecken und stößt bald auf eine große Verschwörung. Die Tierfiguren sind schnell vergessen in dieser spannenden sowie fantasiereichen Geschichte. Nur die Zeichnungen sind ein wenig zu deutlich am Computer entstanden.

Bryan Talbot: „Grandville“.
Schreiber & Leser, 104 S., Hardcover, farbig, Euro 24.80 / sFr. 35.40

 

Lewis Trondheim hat mit „Ralph Azham“ eine neue Fantasy-Serie gestartet. Zunächst fragt man sich, warum er sie nicht einfach an sein auf 300 Bände angelegtes, mit Co-Autor Joann Sfar und einer Heerschar von Zeichnern konzipiertes Donjon-Opus andockt – so ähnlich erscheinen die beiden bislang veröffentlichten „Azham“-Bände schon. Aber dann groovt man sich schnell ein, und es wird klar, warum dies eine eigene Welt sein muss: Hier macht Trondheim wieder alles selber – lediglich die Kolorierung hat er abgegeben.

Lewis Trondheim: „Ralph Azham“. Bd. 1 & 2.
Reprodukt, 48 S., Softcover, farbig, Euro 12.- / sFr. 17.90

 

Der Franzose Anthony Pastor siedelt seine Geschichte um ein paar in der Wüste gestrandete Frauen im Süden der USA an. Die schwangere Rosa wird in den Trailerpark „Las Rosas“ gebracht, aber die Namensübereinstimmung bleibt nicht die einzige Überraschung. „Ein Tortilla-Western“ steht auf dem Einband, und tatsächlich fängt Pastor die glühende Hitze seines Neon-Westerns gekonnt ein. Der dünne Strich lässt die Bilder wie in gleißendem Licht erscheinen, während das Drama seinen Lauf zu nehmen scheint.

Anthony Pastor: „Las Rosas“.
Schreiber & Leser, 320 S., Softcover, s/w, Euro 19.80 / sFr. 28.40

 

Mit „drüben!“ legte Simon Schwartz sein autobiografisches Debüt vor, in „Packeis“ erzählt er die spannende Geschichte eines fast vergessenen, schwarzen Polarforschers im ausgehenden 19. Jahrhundert. Die Geschichte von Matthew Henson erzählt Schwartz in Rückblenden, und er verbindet die realen rassistischen Anfeindungen, denen sich Henson ausgesetzt sieht, mit den mystischen Erfahrungen im ewigen Eis. Ein souverän erzähltes und stilistisch klares Werk.

Nach „Das Ende der Welt“ arbeiten Pierre Wazem und Tom Tirabosco auch für „Im Dunkeln“ wieder zusammen. Die surrealen Ereignisse um die Erlöschung des Tageslichtes verbinden sich mit der Geschichte von Zwillingsschwestern, die ein Geheimnis umgibt. Die weichen Kohlezeichnungen stehen im Kontrast zu der psychischen Anspannung in der Geschichte – die Bedrohung wirkt selten existentiell, eher traumhaft (avant verlag).

Simon Schartz: „Packeis“.
avant-verlag, 176 S., Softcover, schwarzweiß, Euro 19.95 / sFr. 30.50

Pierre Wazem & Tom Tirabosco: „Im Dunkeln“.
avant-verlag, 120 S. Softcover, zweifarbig, Euro 19.95 / sFr. 29.90

 

Einen Balanceakt zwischen Realismus und Surrealismus wagt Anton van Hertbruggen mit seinem Leporello „Memoires of a suburban Utopia“. Sein auf 2,60 Meter ausfaltbares Bild eines in den Wald mündenden Vorortes zeigt ein von irrealen Momenten durchzogenes Alltagsleben. Aber auch die statischen Alltagsszenen sind von irritierender Art und erinnern an die illuminierten Fotokästen eines Jeff Wall. Die Rückseite zeigt eine Nachtszene mit fantastischem Sternenhimmel.

Anton van Hertbruggen: „Memoires of a suburban Utopia“.
Rotopolpress, Leporello, farbig, Euro 15.- / sFr. 21.90

 

„Das Inferno“ von Michael Meier erschien zuerst in der Frankfurter Rundschau, jetzt liegen die von Dantes „Göttlicher Komödie“ inspirierten Geschichten als Sammelband vor. Die Not zum Abschlussgag führt auch mal zu kleinen Bruchlandungen, aber insgesamt ist sein Update gelungen: In dieser Hölle tauchen Berlusconi, der Papst und andere Bekannte auf – am Ende gibt es sogar eine Führung mit Audioguide via iPhone. Die so schönen wie grausamen Zeichnungen sind für einen täglichen Strip überraschend aufwändig.

Thomas Wellmanns von Descartes’ Meditationen inspirierte „Renés Meditationen“ erschienen kurz nach Meiers „Inferno“ im Sommer 2011 ebenfalls in der Frankfurter Rundschau und sind zeichnerisch wesentlich spartanischer. Der denkende Bär René schwankt zwischen der Einfalt von Winnie Puuh und Descartes’ philosophischen Spaziergängen. Im Gegensatz zu Descartes merkt er am Ende, dass das eigene Kartengebäude zusammenbricht, wenn man einige der Prämissen nicht anerkennt. Was bleibt ist ein nachdenklicher, aber nicht vergeudeter Sommer eines Bären.

Michael Meier: „Das Inferno“.
Rotopolpress, 136 S., Softcover, farbig, Euro 19.- / sFr. 27.40

Thomas Wellmann: „Renés Meditationen“.
Rotopolpress, 36 S., Softcover, zweifarbig, Euro 10.- / sFr. 14.90

 

 

Illustrationen von Jürg Lindenberger


 

«Metro»

 

 

«Packeis»