MAGAZIN

MetaComics (A1/C2)

Als „Geister von Geistern auf dem zerbrechlichen Fundament der Erinnerung“ hat Art Spiegelman „Maus“ bezeichnet, den seit seinem Erscheinen in Buchform 1986 wohl einflussreichsten Comic überhaupt. Seine Bedeutung wird auch daran ersichtlich, dass Spiegelman – nach dem Pulitzer-Preis wieder einmal „als erster Comiczeichner überhaupt“ – im September 2012 mit dem Siegfried-Unseld-Preis ausgezeichnet wurde. Zeitgleich wurde er mit einer Ausstellung im Centre Pompidou und im Kölner Museum Ludwig unter dem Titel „Co-Mix. Eine Retrospektive von Comics, Zeichnungen und übrigem Gekritzel“ geehrt sowie mit einem begleitenden, gleichnamigen Katalog, der einen sehr guten Einblick in das Frühwerk und die Vorstudien zu „Maus“ gibt. Zudem erschien die deutsche Übersetzung von „MetaMaus“, ein Kommentarband zu „Maus“, der so manche literaturhistorische Edition alt aussehen lässt. Neben einer beigelegten DVD – als digitale Version des gesamten „Maus“-Comics, versehen mit Vorskizzen, Querverweisen und Hyperlinks – enthält „MetaMaus“ im Anhang (auf der DVD sogar als Audiodateien) auch Interviews mit Arts Vater Wladek, die einem so einiges über die Entstehung des „Maus“-Comics verraten. Kern des Buches sind jedoch umfangreiche, sich auf über 200 Seiten erstreckende Gespräche, welche die Literaturwissenschaftlerin Hillary Chute über mehrere Jahre hinweg mit Spiegelman geführt hat. Darin gibt er nicht nur über die schwierige Entstehungsgeschichte von „Maus“ und die damit verbundenen psychischen Probleme, seine Einflüsse, Vorbilder und den Umgang mit Kritik Auskunft, sondern legt auch sehr detailliert seine theoretischen Überlegungen zur Ästhetik des Comics dar, die mit zum pointiertesten gehören, was dazu bislang formuliert worden ist. Es geht um die Bedeutung von Panelformen und -formaten, Erzählstrategien, Comics im Museum oder das Verhältnis von historischer Wahrheit und deren Abbildung im Medium Comic. Aber es geht auch um die Last des Erfolges, „Maus“ scheine über ihm zu ragen, wie einst sein Vater es tat, schreibt Spiegelman einleitend. Im Interview beschreibt er, wie ihm „Maus“ wiederholt „enteignet“ wurde, von Protestdemonstrationen in Polen (wegen der Darstellung von Polen als Schweinen) über Zensurdebatten vor dem Hintergrund des Hakenkreuzes auf dem Cover bis hin zu Aneignungen durch Holocaust-Leugner aufgrund der Tatsache, dass Wladek in seinen Erinnerungen manchmal „falsch liegt“, so dass „MetaMaus“ fast wie ein Befreiungsschlag wirkt, sich von all diesen Zuschreibungen zu lösen. Im Gespräch mit Chute sagt Spiegelman, der Druck des Erfolges habe ihn lange davor zurückschrecken lassen, sich auf das Erzählen einer neuen langen Geschichte einzulassen, wenn auch einige Ideen noch immer in seinem Kopf herumspuken. Es ist also zu hoffen, dass „MetaMaus“ auf diesen legendären Comic-Meister wirklich die ersehnte befreiende Wirkung hat, um ein weiteres Großwerk schaffen zu können.

Jonas Engelmann

Art Spiegelman: „MetaMaus“.
S. Fischer, 302 S., Hardcover inkl. DVD, s/w und farbig,
Euro 34.– / sFr. 45.90

Art Spiegelman: „Co-Mix. A Retrospective of Comics, Graphics, and Scraps /  Une Rétrospective de Bandes Dessinées, Graphisme et Débris Divers“.
Flammarion, 104 S., Hardcover, farbig,
Euro 30.- / sFr. 59.-

 

Sünder (A4)

Giovanni ist der Sohn des Camorrista Don Antonio. Nach einigen Jahren im Knast fährt er für seinen Vater Lohntüten aus und wird ab und zu auch als Auftragskiller eingesetzt. Er wird als brutaler, abgestumpfter Charakter gezeichnet und hat im Gefängnis mit anderen Gefangenen zusammen Michele, den Sohn eines anderen Clanbosses, brutal umgebracht. Einzig eine Person kratzt an dieser Fassade: Salvatore – Giovannis Begleiter auf seinen Arbeitstouren. Beim Gedanken an ihn wird selbst die Sprache des aus der Perspektive Giovannis erzählten Comics poetisch: „Wir sind umschlungen, ein einziger Jesus Christus, der Frevel am Altar der Heiligen Klara. Er auf mir, ich bin sein Kreuz, ich bin die Gnade, die er erfleht, ich bin die Gnade, die ich ihm gewähre.“ Giovanni führt ein Doppelleben: Einerseits ist er verheiratet und hat mit seiner Frau Mariasole einen Sohn, andererseits hat er eine heimliche Affäre mit Salvatore und Sex mit fremden Männern, die er jeweils an einem bestimmten Ort – ein Parkplatz in Agnano – trifft. Zwei Welten, die nicht zusammenpassen; die Welt des organisierten Verbrechens, der Camorra und der Gewalt und die Welt seines homosexuellen Begehrens.
Der Comic inszeniert die Notwendigkeit, dieses Begehren vor der Familie zu verstecken, als einen der Gründe für die ausgelebte Gewalt im „normalen“ Leben dieses Kriminellen; Brutalität und unterdrückte Triebe werden oftmals in einen Kontext gesetzt, etwa im Mord im Gefängnis, dem eine Vergewaltigung und die sexuelle Erniedrigung des Opfers vorausgehen.
Giovannis Vater hatte schön länger etwas vom Doppelleben geahnt. Beim einzigen Aufeinandertreffen von Vater und Sohn, bei dem die Darstellung Don Antonios einem Dämon ähnelt, sagt dieser ihm zum Abschied, „dass wir Menschen sind und keine Tiere. Ich soll mir von Mariasole helfen lassen.“ Nachdem der Vater in seinem Argwohn bestätigt worden ist und sich mit seiner Schwiegertochter bespricht, gerät Giovannis Leben endgültig in eine Sackgasse und der Kreis schließt sich zum Auftakt des Comics, wo es heißt: „Diese Geschichte beginnt und endet auf den Klippen von Mergellina.“ Für Giovanni kann es kein Entkommen geben, das Ende ist von Anfang an besiegelt.
Valerio Bindi und MP5 erzählen das schwierige Leben Giovannis in reduzierten Schwarzweiß-Zeichnungen, die spiegelbildlich für die zwei Welten gelesen werden können, zwischen denen sich Giovanni bewegen muss, die keine Zwischentöne erlauben, keine Fluchtwege und keine Versöhnung.

Jonas Engelmann

Valerio Bindi / MP5: „Der Frevel am Altar der Heiligen Klara“.
Schreiber und Leser, 184 S., Softcover, s/w,
Euro 18.80 / sFr. 28.90

 

Blast – die düstere Seite der Erleuchtung (C4)

Schaurig ist Manu Larcenets neuer grafischer Roman „Blast“ – und schön ist er auch. Getragen wird er von Sätzen wie diesem: «Stille ist eine Erfindung der Poesie, nicht der Wirklichkeit.» Große Worte sind das sicherlich. Doch drücken sie eine kluge Lebensweisheit aus oder stellen sie nur törichtes Gerede dar?
Mit seiner Dichte an tiefgründigen Aussagen und vielsagenden Bildern fasziniert, berauscht und verstört «Blast» von der ersten bis zur letzten Seite. Von der Rahmenhandlung her gesehen, könnte man «Blast» als Kriminalgeschichte auffassen. Doch selbst wenn Polza Mancini – die Hauptfigur der Geschichte – wie ein Dozent für theoretische Philosophie an einer Kunsthochschule spricht, so stammen seine Sätze aus keiner Vorlesung, sondern aus einem Verhör. Polza Mancini ist dick, stinkt, säuft – vor allem aber sitzt er im Gefängnis. Angelastet wird ihm, dass er eine Frau, Carole Oudinot, lebensgefährlich verletzt haben soll. Mancinis philosophisch und poetisch verdichtetes Reden erfüllt somit den Zweck, der Polizei die Namen, Daten, Orte und Details zu liefern, mit denen sie ihn der Tat überführen können.
Aufgeklärt wird der Fall im ersten von vier oder fünf Büchern nicht. Dafür erfährt man, was Polza Mancini dazu verleitet, sein bürgerliches Leben aufzugeben. Es ist der «Blast». An und für sich bezeichnet der «Blast» die Druckwelle einer Explosion. Für Mancini jedoch geht es um mehr: Wenn der «Blast» eintrifft, dann sieht und erlebt er die Welt, wie sie wirklich ist; nämlich herrlich und unbelastet von jeglicher Moral.
«Blast» ist dunkler und trauriger als Manu Larcenets Gesellschaftssatire «Der alltägliche Kampf» und erinnert stark an die düsteren Comics, mit denen Larcenet zwischen 1997 und 2005 im eigenen Verlag (Les Rêveurs) seine Karriere lancierte. So vielseitig und kunstfertig war er freilich noch nie: Mit einem feinen Auge für die Wirkung symbolischer Formen unterbricht Larcenet immer wieder die Handlung mit seitenfüllenden Stimmungsbildern. Auch scheut er sich nicht, seine Protagonisten zu karikieren oder Polza Mancinis ernst geschilderte Erleuchtungen mit bunten Kinderzeichnungen zu unterlaufen. In diesen Momenten zeigt sich bei Manu Larcenet immer wieder die wilde Anarchie des Punk, den er aber mit seinem subtilen Humor und einer Prise akademischer Gelehrsamkeit zu einem Ganzen abrundet.

Florian Meyer

Manu Larcenet: “Blast 1: Masse”.
Reprodukt, 80 S., Hardcover, farbig,
Euro 29.- / sFr. 39.90

 

Let‘s Swing (B1)

Keine Frage, Jakob Hinrichs gehört aktuell zu den interessantesten deutschen Illustratoren. Seine Holzschnitt- und Siebdruck-inspirierten Grafiken finden sich in vielen namhaften internationalen Print- und Onlinemedien. Für die Edition Büchergilde hat der in Berlin lebende Künstler nun auch auf das Zugpferd „Graphic Novel“ gesetzt - und scheitert leider dabei.
Es liegt nicht allein daran, dass sich Hinrichs der Herausforderung stellt, einen Klassiker der Literaturgeschichte zu illustrieren, nämlich Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“, die 1925 erstmals veröffentlicht wurde. Die Geschichte handelt von dem Wiener Arzt Fridolin und seiner Ehefrau Albertine und von ihren sonderbaren und erotisch aufgeladenen Erlebnissen einer Nacht sowie des darauffolgenden Tages. An der Adaption des Stoffes hat sich bereits der Regisseur Stanley Kubrick die Zähne ausgebissen, denn der Text zeichnet sich durch eine spezielle Atmosphäre aus, die zwischen somnambuler Stimmung, surrealistischen Momenten und erotischer Spannung changiert. Kongenial schildert Schnitzler, wie das Ehepaar ihre bisher verborgenen Begierden entdeckt, die aus ihrem Unbewussten hervortreten. So verwundert es nicht, dass Schnitzlers Zeitgenosse Sigmund Freud an ihn schrieb: „So habe ich den Eindruck gewonnen, dass Sie durch Intuition - eigentlich aber in Folge feiner Selbstwahrnehmung - alles das wissen, was ich in mühseliger Arbeit an anderen Menschen aufgedeckt habe.“
Am Ende des Buches wird dem Leser regelrecht vor Augen geführt, wie schwierig es ist, Schnitzlers Erzählung in Bilder zu fassen. Denn dort ist der Originaltext abgedruckt, der in seiner eindringlichen Schlichtheit den Leser vom ersten Moment an in seinen Bann zieht. Hinrichs Stärke liegt in den Illustrationen, die einzeln und für sich betrachtet zwar ausdrucksstark und markant sind. In einer sequentiellen Aufreihung und auf einer Seite arrangiert, treten die Bilder jedoch in Konkurrenz, was den Lesefluss extrem stört. Zudem erschließt sich einem die retrofuturistische Ästhetik nicht, die der Illustrator für die Novelle ausgewählt hat, da sie die eigentliche Botschaft der textlichen Vorlage überdeckt. Weniger wäre mehr gewesen, wenn Hinrichs den Text zum Beispiel mit Einzelbildern illustriert hätte. Doch Hinrichs ist nicht der erste Illustrator, dem dies widerfährt. In diese Falle sind bereits mehrere seiner Kollegen getreten, die sich an einem Comic versucht haben (oder an dem, was man heutzutage aus Marketinggründen als „Graphic Novel“ bezeichnet). Darüber hinaus sollte man sich vielleicht damit abfinden, dass Schnitzlers „Traumnovelle“ zu den Texten gehört, die man in Bildern weder erzählen sollte noch kann.

Matthias Schneider

Jakob Hinrichs: „Arthur Schnitzlers Traumnovelle“.
Edition Büchergilde, 160 S., Hardcover, farbig,
Euro 24.95 / sFr. 37.90

 

Paris zum Aufklappen (B4)

Dass „Lignes Noires“ kein gewöhnlicher Comic ist, wird einem klar, sobald man den kleinen, querformatigen Band in den Händen hält. Dann nämlich stellt man fest, dass er zwei Mal aufgeklappt werden muss, einmal nach links und einmal nach rechts. Vor einem befinden sich jetzt nebeneinander drei 24-seitige Heftchen, die von unten nach oben aufgeschlagen werden. Der Clou dabei: Jedes Heft erzählt eine Geschichte, die mit den jeweils anderen beiden Geschichten zusammenhängt. Alle Geschichten spielen sich zeitgleich ab, und an einigen Stellen kommt es zu Überschneidungen. Diese sind jedes Mal anders dargestellt, je nach Perspektive der jeweiligen Protagonisten.
Inhaltlich ist „Lignes Noires“ ein Krimi, der in Paris spielt. Von der Handlung sei nur so viel verraten: Ein Mann mit einer Tasche unbekannten Inhalts muss dringend aus Paris fliehen. Bevor er die Stadt verlassen kann, wird er jedoch von einem Paar aufgespürt, das die Tasche in seinen Besitz bringen will. Der Mann flüchtet, und es kommt zu einer Verfolgungsjagd mit tragischem Ausgang. Vieles wird nicht erzählt oder nur angedeutet, so dass der Leser immer wieder selbst Details zusammensetzen muss. Wird der Zusammenhang zwischen den ersten beiden Geschichten schnell klar, tappt man bei der dritten eine Weile im Dunkeln, bis man merkt, wie sie mit den anderen beiden verknüpft ist.
Die grau schattierten Schwarzweiß-Zeichnungen, in denen das Schwarz meist dominiert, lassen dabei eine wunderbare Film-Noir-Atmosphäre entstehen. Immer wieder fühlt man sich auch an den typischen Stil des französischen Comic-Zeichners Marc-Antoine Mathieu erinnert, und implizit verweisen die Autoren sogar im Text auf ihn: Drei der Protagonisten heißen nämlich Marc, Antoine und Mathieu. Wer Paris ein bisschen kennt, wird sich außerdem über die authentischen Außenansichten freuen.
„Lignes Noires“ ist aber eben nicht nur und auch nicht vorrangig aufgrund der Handlung oder der Bilder spannend. Das wirklich Außergewöhnliche ist die Umsetzung als Comic-Band, die ein Spiel mit Formen darstellt: auf inhaltlicher Ebene mit der Form der Erzählung, auf physischer mit der Form des Buches.

Jan Westenfelder

Adrien Thiot-Rader & Ludovic Rio: „Lignes Noires”.
Éditions Polystyrène, 72 S., Softcover, s/w,
Euro 16.–

 

Fremde Welten (C1)

„Krrpk“ ist eine neue Serie des französischen Zeichners Bill, der mit richtigem Namen Benoit Boucher heißt. Mit Gobi (Baptiste Gaubert) hat er schon die „Zblu Cops“ und mit Jerry Frissen die Serie „Lucha Libre“ erschaffen. „Krrpk“ ist seine erste Arbeit in Eigenregie.
Krrpk ist ein kleiner Außerirdischer aus dem Volk der Bleearg, der soeben seinen Heimatplaneten verlassen hat, um sein Glück auf dem Planeten Grook zu versuchen. Er ist so liebenswert wie naiv und sicher auch nicht der Hellste. Umso mehr leidet er von Anfang an unter den unfreundlichen, arroganten und oft auch rassistischen Bewohnern des Planeten, den Grookos. Krrpk schlägt sich trotzdem durch, so gut er kann, und versucht, sich den unwirtlichen Verhältnissen anzupassen. Er kämpft mit der Bürokratie, wohnt in einem Loch, muss immer wieder die Avancen seiner Vermieterin abwehren, gerät an einen falschen Freund, mit dem er all sein Geld verjubelt, geht Betrügern auf den Leim und bekommt nur die übelsten Jobs angeboten. Obwohl ihm niemand hilft und jeder versucht, irgendwie von ihm und seiner Gutmütigkeit zu profitieren, erträgt er all das mit bewundernswerter Geduld und unerschütterlichem Optimismus.
Nur damit kein falscher Eindruck entsteht: Es handelt sich hier keinesfalls um eine Leidensgeschichte, und die Erzählung kommt auch vordergründig überhaupt nicht moralisch daher. Vielmehr werden die einzelnen Episoden mit viel – oft bösem – Witz erzählt und unterhalten einen vorzüglich. Trotzdem ist „Krrpk“ auch eine Parabel, die Fremdenfeindlichkeit, Vorurteile gegenüber Andersartigem und Ausbeutung Schwächerer thematisiert. Vieles erinnert einen dabei an unsere Welt, und einige der geschilderten Episoden haben die meisten wohl auch schon so oder ähnlich erlebt. Vielleicht hatte Bill auch einen Migranten vor Augen, der sich weit weg von zu Hause ein besseres Leben erhofft und versucht, sich in einer fremden Umgebung zurechtzufinden und zu integrieren. Außergewöhnlich ist hier, wie er es schafft, diese Thematik mit so viel, wenn auch oft schwarzem oder skurrilem, Humor zu versehen. Dieser Kontrast kommt auch in den konturlosen Zeichnungen und ihren knallbunten Farben zum Tragen, die an Kinderbücher erinnern und einen gewollt harmlosen Rahmen für den ernsten Hintergrund bilden. So ist Bill mit „Krrpk“ ein Solo-Debüt gelungen, das großen Spaß macht und beste, intelligent gemachte Unterhaltung bietet.

Jan Westenfelder

Bill: „Krrpk 1. Krrpk doit mourir”.
Shampooing, 126 S., Softcover, farbig,
Euro 12.50

 

Steve Jobs – oder was der Apple-Computer dem Zen verdankt (B3)

Eigentlich ist „Steves Welt. Der Weg zur iPhilosophie“ eine gelungene und spannende Graphic Novel. Wie der Texter Caleb Melby und die Zeichner Noah Smith und James Callahan die zen-buddhistischen Ursprünge von Apples Geschäfts- und Design-Philosophie aus der Beziehung des Apple-Gründers Steve Jobs zu dem Zen-Meister Kobun Chino herausschälen und in wenigen Episoden vortragen, das hat schon Klasse. Nur eben ist „Steves Welt“ überhaupt kein Comic, sondern ein professionell umgesetztes Kommunikationsprojekt, in dem eines der meistgelesenen Wirtschaftsmagazine Amerikas mit einer Kreativagentur zusammenspannt, die fast jede namhafte Marke aus der Social Media-, Sport- und Pop-Szene zu ihrem Kundenstamm zählt – außer Apple … Zwar sind gewisse Anleihen beim zeitgenössischen amerikanischen Comic-Roman in «Steves Welt» unverkennbar, dennoch basiert «Steves Welt» kaum auf einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Medium Comic und wohl noch weniger auf einem künstlerischen Impuls.
«Wir gingen viele unterschiedliche Stile durch, bevor wir uns auf eine gemeinsame Richtung einigten», sagt der künstlerische Leiter des Projekts, Christian Day, in dem – nach Hollywood-Mustern aufgebauten – «Making of»-Anhang. Das sind nicht die Worte eines Comic-Autors, hier spricht das Marketing, das Märkte in Segmente zerschneidet, um Zielgruppen mit vordefinierten Verkaufsbotschaften zu bedienen.
In dieser Denkweise ist eine bestimmte Art des Zeichnens und Erzählens kein Wert an sich, sondern eine jederzeit abwählbare Technik, die man auswechselt – sobald sich der Geschmack jener, die man erreichen will, ändert. In ebendiesem Sinn ist «Steves Welt» kein Comic, sondern einfach jene Form der Visualisierung, die dem Projektteam am besten geeignet schien, um Steve Jobs’ Auffassung von einem ansprechenden, den Absatz unterstützenden Design darzustellen. Lesenswert ist das Ganze, wie gesagt, trotz allem.

Florian Meyer

Caleb Melby, JESS3: “Steves Welt. Der Weg zur iPhilosophie”.
Hoffmann und Campe, 80 S., Softcover, farbig,
Euro 17.99 / sFr. 29.80

Weitere Informationen zu „Steves Welt“ (engl. „The Zen of Steve Jobs“) und seiner Entstehung finden sich im Blog des Forbes-Journalisten Caleb Melby sowie auf der Website der Kreativagentur JESS3.

 

Wo findet die Hochzeit statt? (A3)

Hat Cyril Pedrosa mit seinem endlosen Selbstfindungstrip sogar seinen deutschen Verleger eingelullt? Anders lässt sich die peinliche Fehlinformation auf dem edlen Hardcover-Umschlag mit Halbleinen-Rücken, Simon Muchat besuche die Hochzeit einer Cousine in Portugal, kaum erklären. Eine Hochzeit findet in „Portugal“ tatsächlich statt, ausgiebige und ermüdende 85 Seiten lang, aber in Frankreich. Das titelgebende Land bildet den geographischen Rahmen für die beiden anderen, die Hochzeit einrahmenden Kapitel: Zunächst Simons Besuch eines portugiesischen Comic-Festivals, dann seine Spurensuche bei seinen portugiesischen Verwandten.
Eigentlich verspricht das doppelte Thema von „Portugal“ einiges: Der Comic-Autor Simon Muchat steckt in einer Schaffens-, Lebens- und Identitätskrise. Diese hofft er zu bewältigen, indem er sich dem verdrängten portugiesischen Hintergrund seiner Familiengeschichte stellt – sein Großvater Abel floh vor Armut und Diktatur nach Frankreich – und damit seinen eigenen portugiesischen Wurzeln.
Diese Versprechen werden jedoch nur zum Teil eingelöst. 250 großformatige Seiten sind zu viel für den Stoff bzw. das, was Pedrosa daraus macht. Simons Sinnsuche mäandert und dümpelt vor sich hin, Pedrosa verliert sich in geschwätzigen Abschweifungen und spätestens, wenn man den Eindruck hat, die Geschichte drehe sich im Kreis, und nicht mehr nachvollziehen kann, worum es eigentlich geht, verliert man das Interesse und die Geduld.
Das ist umso ärgerlicher, als Cyril Pedrosa nicht ohne Talent ist. Der 1972 geborene Franzose (mit portugiesischen Wurzeln) kann durchaus erzählen, er kann Dialoge schreiben, und er ist ein eleganter und vielseitiger Zeichner. Wie zuvor „Drei Schatten“ und „Auto-Bio“ scheitert aber auch „Portugal“ an einer gewissen Selbstgefälligkeit, vor allem aber am Fehlen von erzählerischer Stringenz und womöglich auch inhaltlicher Substanz. Man hätte Cyril Pedrosa einen Co-Autor zur Seite gewünscht oder einen unnachgiebigen Lektor. Dann hätte aus Simons Sinnsuche eine auch für den Leser Sinn machende Lektüre werden können.

Christian Gasser

Cyril Pedrosa: „Portugal“.
Reprodukt, 264 S., Hardcover, farbig,
Euro 39.– / sFr. 52.50

 

Von Hunden und Marsmenschen (C3)

Die Mars-Station „International Mars Base Bowie“ beherbergt eine Menschenkolonie, die damit beauftragt ist, aus dem unfreundlichen Planeten eine neue Heimat für die Erdbewohner zu machen. Das sogenannte „Terraforming“-Projekt wird von einer Militäreinheit namens „Division of Global Survey“ (D.O.G.S.) geleitet. Doch die Mission wird schon bald eine Nebensache in diesem Sci-Fi-Comic und der New-Frontier-Traum verwandelt sich in einen Albtraum. Ein blutrünstiges, außerirdisches Monster hat sich in der Kolonie eingenistet und macht den neuen Besetzern das Leben schwer. Wer jetzt an Ridley Scotts „Alien“ denkt, denkt richtig. Alle Komponenten des Science-Fiction-Klassikers von 1979 sind vorhanden: Menschen an einem begrenzten und abgelegenen Ort (wo sie niemand schreien hört), ein außerirdisches Wesen, das menschliche Körper als Wirt für die Fortpflanzung missbraucht, Waffen, viel Blut. Es macht Spaß, für einmal die futuristische Horrorgeschichte auf gedruckten Seiten zu sehen. Obwohl Tony Trovs, Johnny Zitos und Christian Wesiers Plot nicht viel hergibt (vielleicht gerade, weil drei verschiedene Leute daran gearbeitet haben), die Spannungen zwischen den ums Überleben kämpfenden Protagonisten ist dennoch unterhaltend. Der Aufbau und die Sequenzen haben oft filmische Eigenschaften. Vor allem attraktiv sind die Zeichnungen des US-Amerikaners Paul Mayburys, die halb von Mangas, halb von französischen Zeichnern inspiriert zu sein scheinen. Die Bilder sind – passend zum kolonialisierten Planeten – in einem konstanten Rotton gezeichnet. Mit dem Fortschreiten der Geschichte wird immer klarer, dass die Überlebenschancen gegen null sinken. Diese Aussichtslosigkeit drückt sich auch in den Zeichnungen aus, die immer unübersichtlicher und unleserlicher werden. Ob vom Künstler gewollt oder nicht, sie erschweren das Lesen. Der Comic wurde ursprünglich als E-Book vom amerikanischen Anbieter digitaler Comics „ComiXology“ in den Handel gebracht und ist nun – nach bescheidenem Erfolg – auch in Papierform erhältlich.

Giovanni Peduto

Zito, Trov, Weiser, Maybury: „D.O.G.S. of Mars“.
Image, Berkeley, 120 S., Softcover/E-Book, farbig,
$ 6.99

 

Comic-Street-View (B2)

Der Kanadier/Koreaner Michael Cho hat als eigentlicher Comic-Zeichner noch wenig vorzuweisen. Abgesehen von ein paar wenigen kurzen Geschichten (z.B. in der Anthologie „Best American Comics“ oder einer Kinder-Krimi-Serie) arbeitet er hauptsächlich als Illustrator. Aufgefallen ist er mir durch die Gestaltung eines Buchcovers in der Penguin-Classics-Serie (Literaturklassiker des englischen Penguin-Verlags mit von Comic-Zeichnern gestalteten Covers). Darauf sieht man die Eigenheiten von Chos Stil sofort: gute Farbkombinationen und ein Retro-Stil, der an amerikanische Cartoonisten aus den 1950/60ern erinnert. Es ist dieser cartoonhafte Stil, der eher an einen Comic-Zeichner als einen Illustrator denken lässt. Cho verbindet die beiden Künste gekonnt. In „Back Alleys and Urban Landscapes“ wagt sich Cho noch nicht an eine ausgedehnte Comic-Geschichte heran, sondern präsentiert – wie es der Titel sagt – urbane Landschaften seiner Umgebung in Toronto. Wirklich urban sind die Bilder nicht, da es sich meist um Hinterhöfe mit kleinen Backsteinhäusern handelt. Cho, dem Landschaften und Gebäude lange nur als sekundäres „Bühnenbild“ für seine Figuren dienten, hat seine Übungen für Landschaftszeichnungen seit 2006 bis heute nun in diesem Buch versammelt. Menschen kommen hier nicht vor. Die Protagonisten sind kleine Seitenstraßen, Häuser, Zäune, Telefonmasten, überfüllte Abfalleimer und Bäume. Beim Durchblättern erkennt man die Veränderung seines Stils im Laufe der Jahre: von den gröberen, mit Filzstift gezeichneten düsteren Nachtaufnahmen zu den farbenfrohen und klaren Gouache-Zeichnungen. Die menschenleeren Seitengassen wirken gespenstig und leider auch leblos. Leblos, weil es auf den stark symmetrisch angeordneten Bildern wenig zu entdecken gibt, und man darum das Buch in nur kurzer Zeit durchgeblättert hat. Auf den ersten Blick wirken die Bilder sehr schön, aber schon bald merkt man, dass nicht viel dahintersteckt. Dass man mit urbanen Städtelandschaften mehr machen kann, haben Künstler wie Paul Madonna (Strapazin Nr. 88) oder der Schweizer Grrrr (Strapazin Nr. 85) bewiesen. Einzig aus Chos Gabe, gute Farbkombinationen zu kreieren, könnte man noch etwas lernen.

Giovanni Peduto

Michael Cho: „Back Alleys and Urban Landscapes“.
Drawn and Quarterly, 80 S., Softcover, farbig,
$ 19.95

 

Italiens Van Gogh (A2)

Antonio Ligabue gilt als der bedeutendste Vertreter der italienischen „Art Brut“. Der Schweizer Schabekarton-Spezialist Hannes Binder und der italienische Autor Giuseppe Zironi erweisen mit der illustrierten Biografie „Antonio Ligabue. Von der Qual eines Künstlerlebens“ dem größtenteils in Vergessenheit geratenen Künstleraußenseiter ihre Ehre. 1899 in der Schweiz geboren, wird Ligabue mit 18 Jahren in eine psychiatrische Anstalt zwangseingeliefert, und ein paar Jahre später aufgrund von Tätlichkeiten gegenüber seiner Pflegemutter in das Land seines Vaters nach Italien ausgewiesen. In der Emiglia Romana zieht sich Ligabue in die Wälder zurück, lebt dort in einer Hütte und malt wie ein Besessener. Ligabue ist ein Getriebener, der an seinen Versuchen, sich in die Gesellschaft zu integrieren, stets scheitert. Der Maler Marino Mazzacurati entdeckt das Talent des Ausnahmekünstlers und unterstützt ihn, lädt ihn in sein Atelier ein und macht ihn mit Kunstsammlern bekannt. Doch auch Mazzacurati verzweifelt an Ligabues Unberechenbarkeit, ihre Freundschaft zerbricht. Als Ligabue 1961 seine erste große Ausstellung hat, erlangt er als „italienischer Van Gogh“ nationale Berühmtheit. Mit dem plötzlichen Ruhm und Geld ist Ligabue jedoch völlig überfordert, er stirbt 1965 in einem Armenhaus.
Binder und Zironi bringen dem Leser die außergewöhnliche Biographie Ligabues, die von extremen Höhen und Tiefen geprägt ist, äußerst nahe. Binder hat für die Bildebene ausdrucksstarke, zum Teil surrealistische Schabekartonbilder geschaffen, die Zironis Text illustrieren. Während der Text eine objektive narrative Erzählebene einnimmt, versuchen die Bilder die subjektiven Eindrücke des Künstlers Ligabue zu vermitteln. Kein Wunder also, dass diese zwei „Erzählstile“ nicht harmonisch ineinander übergehen, sondern – im Gegenteil – dem Leser eher sperrig und brüchig erscheinen. Ob von dem Autoren-Zeichner-Gespann gewollt oder ungewollt, es ist wahrscheinlich die passendste Möglichkeit, das innere Zerwürfnis des Künstlers Ligabue mit seiner Außenwelt darzustellen. Dem Künstler nicht unähnlich stolpert man durch seine Biographie, eckt an, stößt sich und verzweifelt an dem sich stetig wiederholenden Scheitern an gesellschaftlichen Konventionen. Die geistige Umnachtung ist Ligabues Fluch und Flucht zugleich, wie Binder und Zironi eindrücklich vermitteln.

Matthias Schneider

Hannes Binder, Giuseppe Zironi: „Antonio Ligabue. Von der Qual eines Künstlerlebens“.
Jacoby & Stuart, 152 S., Softcover, s/w,
Euro 29.- / sFr 39.90

 

Olivier Schrauwen - Bärte im belgischen Kongo

Fumetto-Comic-Workshop an der Hochschule Luzern – Design & Kunst

Olivier Schrauwens Debüt „Mein Sohn“ sorgte für Verwirrung: Manch einer glaubte, die Bildgeschichten eines vergessenen Comic-Pioniers des frühen 20. Jahrhunderts vor sich zu haben, derart stilecht griff Schrauwen die Bildsprache, die verblichenen Farben und die surreale Imagination der frühen Zeitungscomics auf. Doch der Flame ist nicht 1877 in den USA geboren, sondern 1977 im belgischen Brügge, er studierte an der Kunsthochschule Saint Luc in Brüssel, und realisiert neben Comics auch Animationsfilme.
„Mein Junge“ erschien 2006, machte Schrauwen innerhalb der Comic-Szene berühmt, sein zweites Buch „Der Mann, der seinen Bart wachsen ließ“ (beide auf Deutsch bei Reprodukt) folgte 2011 und etablierte ihn als einer der Großen seiner Generation, denn es bestätigte, dass sein Spiel mit stilistischen Referenzen kein ästhetischer Selbstzweck und schon gar nicht nostalgisch ist, sondern im Dienst seiner Inhalte steht.
Getrieben von abstrusem Witz schlagen Schrauwens schräge Geschichten immer wieder unerwartete Haken, erzählerisch und visuell. Sein Surrealismus hat jedoch Methode, er reflektiert Autorität, Machtmissbrauch, die Exzesse der Wissenschaft, und immer wieder geht es ihm um die Konfrontation von innerer und äußerer Wirklichkeit, um Alb- und Wunschträume, um Eskapismus – und um die Macht der Kunst, diese anderen Welten und Räume zu schaffen.
Schrauwen greift die Sprache der Comic-Pioniere auf, um als moderner Pionier das Potenzial des Erzählens mit Bildern neu zu vermessen und Comics zu schaffen, die in der gegenwärtigen Szene ohne Vergleich dastehen.

Christian Gasser

Der Workshop findet vom Montag, 18. März 2013, bis Freitag, 22. März 2013, an der Hochschule Luzern – Design & Kunst statt.

ANMELDUNG bis 22. Februar 2013 an:
Hochschule Luzern - Design & Kunst, z.Hd. Luana Quaresima, Sentimat 1, CH-6003 Luzern – Stichwort „Fumetto-Comic-Workshop 2013“. Der Bewerbung sind Fotokopien eigener Comic-Arbeiten beizulegen (keine CD oder DVD). Studenten anderer Kunstschulen, Akademien und Fachhochschulen aus dem In- und Ausland können kostenfrei teilnehmen (bitte Kopie eines Studentenausweises beilegen). Alle anderen bezahlen einen einmaligen Unkostenbeitrag von sFr. 150.–. Die Teilnehmerzahl ist auf 12 beschränkt. Über die Zulassung entscheidet die Leitung des Studienbereichs Illustration.