Das Geschriebene Wort

ICH HABE EINEN ROMAN GESCHRIEBEN,_______
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_____________________DER KEINER WAR

Neuere deutschsprachige Literatur von Wolfgang Bortlik

Eine erste Erkenntnis 2000: Literatur hat Folgen!

Nach der Lektüre des neuen Romänchens von Zoë Jenny aufjauchzend in ein Alboth!-Konzert gestürzt und von der wunderbaren geistigen Reinigung durch avantgardistischen Lärm erfahren!
Nach der diagonalen Schnell-Lesung von Rudolf Scharpings grotesk-ekligem Kosovo-Kriegstagebuch und mitten in Adrenalin-Junkie Joschka Fischers Ejakulation vom Marathon-Weg zu sich selbst, igitt, ins nächstbeste Kino geflüchtet, um mit Bildern sich vollzudröhnen, ohne noch ein einziges Wort verstehen zu müssen, zu wollen, zu können! Und siehe da, "Kikujiro", der Film des japanischen Superstars Takeshi Kitano, zwiebelt einem ordentlich Tränen raus. Seither dürfen meine Kinder auch jeden Tag "Takeshi's Castle" auf DSF anschauen.
Und nach der versuchsweisen Lektüre einiger Seiten der Ergüsse von Götz Houellebecq, Rainald Stuckradt, Lancelot Barre oder Konsorten, endlich, endlich wieder das Essentielle gefunden: "E tüüfe gsunde Schlaaf" - wie es hierzulande so schön heisst!

Aber natürlich gibt es auch jede Menge gute Bücher.

 

 

 

 

 

 

 

 

1987, als der Verlag Kiepenheuer&Witsch noch wirklich cool war (Julie Burchills erstes Solo-Buch deutsch, Diederichsen noch nicht balla balla!), erschien dort ein "Roman", in dem der Autor Joachim Lottmann davon schwärmt, Schriftsteller zu sein und "den Gegenwartsroman" zu schreiben. Dabei plaudert er leichthin von mancherlei Alltagsgeschehen, politischem und kulturellem Schwachsinn, gibt also sozusagen eine kritische und komische Bestandesaufnahme allgemeiner Befindlichkeit und Idiotie von sich. Hellere Geister als unsereiner mögen das Werk tatsächlich als den hervorragenden Generationsroman jener Zeit bezeichnen. Jetzt, ein Dutzend Jahre später, hat Lottmann sein Gesamtromankunstwerk aufgefrischt und insofern zeitgemäss gemacht, dass es nun um den "Vereinigungsroman" par excellence geht. Und Vereinigung nicht nur, dass das zusammenwächst, was zusammengehört, nämlich Deutschland, puh, sondern auch die aktive Bevölkerung eben: etwa der Westautor, der nach der Vereinigung mit ein paar sehr hübschen Ostfrauen trachtet, während er als Literaturstipendiat in Berlin sitzt und dem Wachstum bzw. der Vereinigung der neuen deutschen Hauptstadt zusieht. Sehr schöne Exkurse, Ausflüge, Betrachtungen wechseln sich ab, und dass der Autor ausgerechnet Bret Easton Ellis' Saufbumskotzroman "Rules of Attraction" oder den Jetlagjunker Kracht toll findet, steht korrekt in der Folge seiner Behauptung im Vorwort: Die Literatur ist tot, aber wir leben - das ist es vielleich sogar, was der Autor uns sagen will.

Joachim Lottmann: DEUTSCHE EINHEIT. Ein historischer Roman aus dem Jahr 1995.
Haffmans, Zürich 1999

 

Lassen wir mal das Gefiepe und Geflöte, das ganze fast schon zwanghafte Urbangehumse um den Europä- bzw. Internationalismus der Schweiz beiseite. Im Zeitalter von Rundum-TV und Internet wissen wir sowieso mehr von Berlin und New York als beispielsweise von Zäziwil, Kanton Bern. Statt medial verordneter Samir-Filme, Berner Trip Hop und Zürcher Internet-Künstler also interessieren mich Reportagen von dort, wo die Schweiz am düstersten ist: Opfer des European King's Club im Emmental. Stündeler, die den Weltuntergang erwarten. Ein italienischer Gastarbeiter, der nach fast vier Jahrzehnten in der Schweiz im Alter von 59 Jahren im Rahmen von "Restrukturierungen" entlassen wird. Das Gotthelfjahr und die Wirtschaftsförderung. Der Creative Director, der Mönch wird. Das Schutznetz für Selbstmörder bei der Berner Münsterplattform.
Über solche Themen schreibt Hanspeter Bundi. Er schreibt sozusagen kongenial, weil er in sparsamen, unspektakulären Sätzen diese ganze verhackte und vertrackte Atmosphäre und Schweizwelt einfängt und vermittelt. Dieses Buch müsste an den hiesigen Schulen im Heimatkundeunterricht eingesetzt werden!

Hanspeter Bundi: Und es gibt keiner dem andern ein böses Wort. Reportagen vom Leben in der Schweiz.
Lenos, Basel 1999

 

In Silvia Szymanskis zweitem Buch gibt es genau 23 erotische Geschichten. Genial sind drei Stories, darunter die titelgebende. Vier Sterne erhalten sieben Texte, im Niemandsland des Ordentlichen bewegt sich der Rest, wobei da allerdings ein paar doofe, prätentiöse Sachen und auch ein bisschen viel wiederholte Motive herumwuseln. Bei der ersten Ejakulation steht auch gleich ein Druckfehler, was jedoch nicht symptomatisch für das Buch ist. Noch nie (ausser in gewisser Fachliteratur natürlich!) hab ich jedenfalls von sovielen Erektionen in einem Buch gelesen. Die Erzählerin ist ja das reinste Sexmonster! Sind Frauen wirklich so? Ich bin schockiert! Wenn ich das früher gewusst hätte!! Jetzt ist es zu spät!!!
Und noch zwei Lieblingsstellen: "Rolf und Petra machen es bei Weissflog in der Garage! Wir gehen hin, gucken!" und: "Wenn Opa und sie sich küssen, sehen sie aus wie menschenfressende Märchen-Riesen."
Schwach allerdings, dass der Verlag es nicht als nötig erachtet, für die Zeichnung auf Vorder- und Rückseite des Buchs einen Autoren anzugeben. In einem Comic-Art-Magazin ziemt es sich, darauf hinzuweisen, dass es sich beim Künstler um den ollen John Willie, Master of Bondage, handelt, dessen Werk leider nur noch verspermt in Privatbibliotheken zugänglich ist. Oder?

Silvia Szymanski: Kein Sex mit Mike. Erotische Geschichten.
Campe, Hamburg 1999

 

 

KRANK, so dachte ich, hier ist alles und jeder krank, und zwar unheilbar krank. Das Kranksein gehört an dieser Institution zum guten Ton, ist diesem sogenannten Denkort a priori inhärent. Seit Jahren hatte sich hier nichts mehr verändert, alles ist erstarrt, stehengeblieben, festgefahren, in Beton gegossen, so dachte ich auf meinem Stuhl.
Tönt verdammt nach Thomas Bernhard, ist aber von Jörg Uwe Sauer, in dessen umwerfendem Roman "Uniklinik" der grosse österreichische Hypochonder wahrscheinlich die Hauptrolle spielt. Der "Held" jedenfalls ist ein stummer Aussitzer, der neben einer dubiosen wissenschaftlichen Tätigkeit zum "Holzfällen" geht bzw. mit der kettenrauchenden Mathilde mauselt. Um ihn herum tobt der Wissenschafts- und Kulturbetrieb in seiner vollständigen Lächerlichkeit bzw. Debilität. Ich muss mich an dieser Stelle sehr zügeln, um nicht endlos von der Fülle und Komik und Derbheit des Romans zu schwärmen. Wer ihn noch nicht gelesen hat, kann sich freuen! Stunden ausgesuchten Vergnügens liegen bevor!

Jörg Uwe Sauer: UNIKLINIK. Roman.
Residenz, Salzburg/Wien 1999

 

 

Es ist ein verdammter Saujob, in der Schweiz etwas Komisches (scharfsinnig, respektlos, ungewöhnlich, ätzend, beleidigend, grobschlächtig, unkorrekt, abartig, wortmächtig) zu schreiben und dies auch veröffentlicht sehen zu wollen. Eigentlich ist es gar kein Job, weil es eben unmöglich ist. Wenn es lustig ist hierzulande, so ist es reformierter Fasnachtshumor. Höchstens! Wenn nämlich ein Bedürfnis nach Satire oder Humor (Adjektive s.o.) bestünde, dann hätte der Chrigel Fisch zum Beispiel eine feste Kolumne in mindestens einer grossen Tageszeitung hierzulande. Aber dann dürfte er natürlich nicht solches schreiben: Die Basler Zeitung kann nach einer Minute als Scheissunterlage im Meerschweinchenkäfig nebenan entsorgt werden. Todlangweilig saftlos dünn das Ding. Die NZZ eignet sich abends vorzüglich zum Anfeuern im Kollega Zimmerofen. So muss er seine Kolumnen, die in sämtlichen, letzthin verschiedenen Zeitschriften (Tagwacht, Nebelspalter, Die Hauptstadt) erschienen, nun quasi im Eigenverlag herausgeben. Gibt's kein Blatt, wo der Mann schreiben kann? Medienbande! Schande!!

Chrigel Fisch: Spielen während andere arbeiten müssen. Satirische Texte
T.H.O.T.4.R. Verlag, Postfach 47, 4012 Basel, 1999.

 

Kein Buch, kein Roman, sondern eine Explosion in Worten ist "Siggi Minne" von Ernest Albert. Zack bumm, alles raus auf einen Schlag, auf einen Satz, die Lebensgeschichte von Findekind, heftigst umwallt und umwabert von Familien- und Zeitgeschichte, die ganze Welt also von Weltkriegswaffen, Gift, Liebiwil, John Travolta, Rock'n'Rollväter, Terrorismus, Cliquen, Kulte bis in den Kulturuntergrund. Puuuh, anstrengend. Too much.
Findekind wächst in einer Schweizer Hochhaussiedlung auf und soll fürs Leben lernen: ducken, anpassen, weglaufen, sonst gibt's was auf die Schnauze. So einfach läuft das aber nicht.
Wenn der Autor erzählerische Disziplin lernt (er ist ja noch jung!) und einen guten, professionellen Lektor findet - Verlage unbedingt melden! - dann bekommen wir einen "bedeutenden Gegenwartsliteraten".

Ernest Albert: Siggi Minne. Roman.
Fouqué Literaturverlag, Frankfurt/M. 1998.