Martin Baltscheit

Der
Comic-Agent
Martin Baltscheit ist der Mann mit den tausend Gesichtern, der über multiple Talente auf dem Gebiet der bildenden und darstellenden Künste verfügt, was ihm parallele Karrieren u.a. als Grafiker, Schauspieler, Roman- und nicht zuletzt Comic-Autor ermöglichen.
In letzterer, der Comic-Sparte, debütierte er 1992 mit einem rasanten Feuerwerk an Witz und grafischen Einfällen, als er - zusammen mit Christian Schnalke für den sprachlichen Feinschliff - gleich die Grundstrukturen des Mediums thematisierte. Noch bevor Scott McCloud sie didaktisch darlegte, beschäftigte sich "Valerius, der Comic-Agent" etwa mit dem Gesetz der Serie oder dem mysteriösen Verhältnis von Zeit und Raum in Bildergeschichten, nahm diese elementaren Faktoren des Comics spielerisch auseinander und nutzte nebenbei auch noch frech dessen Materialität für eine Fülle an Storyboard-Experimenten, sehr zur Freude und gleichzeitig Überforderung des gemeinen Comic-Publikums. Ohne diese Überforderung - und vielleicht mit etwas weniger jugendlich genialischem Überschwang - wäre es womöglich das Debüt des Jahrzehnts geworden. Und dennoch: welch ein Talent!
Daneben überraschte Baltscheit ein weiteres Mal, indem er mit "Lotte & Leo" das genaue Gegenteil von "Valerius" vorlegte, einen kleinen, fast intimen Comicstrip mit Vater-Tochter-Geschichten, in denen die Atmosphäre beinahe wichtiger war als die jeweilige Pointe. Dieser Strip brachte es vom Szene-Magazin "Comic Speedline" bis auf die Samstagsseiten der Westdeutschen Allgemeinen, immerhin grösste Tageszeitung des Rhein-Ruhr-Gebietes!
Vor diesem Hintergrund lässt sich sein weiterer Werdegang als Autor und Zeichner von Bilderbüchern gut nachvollziehen. Das erste, "Papa kuck mal", wirkt noch wie eine ausgearbeitete "Lotte & Leo"-Geschichte. In der Folge kamen u. a. "Kurz, der Kicker" hinzu, eine typische Story für den fussballverrückten Ruhrpott, dem der Künstler selber entstammt - und seit "Lukas haut ab" auch zeitgemässe, kindergerechte Bibel-Adaptionen (zusammen mit Philipp Wegenast). Allen gemeinsam blieben die Lust am grafischen Experimentieren und der Drang nach Expressivität, während seine Comic-Aktivitäten gleichzeitig spärlicher wurden.
Abgesehen von Anthologie-Beiträgen, etwa in "Labor 9", sind Experiment und Expressivität vor allem im Heft aus der collection ubu imperator vorherrschend, in der Geschichte "Das Chi Gong des Chinesen Wei". Eine wortlose Bilderfolge, in der die noch durchscheinenden, allerdings ironisch schwer überhöhten Comicstil-Konventionen ("Valerius") verlassen werden zugunsten eines kräftigen, beinah archaischen Strichs. Daneben beschäftigten Baltscheit zahlreiche andere Aktivitäten, so zum Beispiel die Vollendung eines grossformatigen Wandgemäldes in einer Unterführung bei Düsseldorf sowie CD-Produktionen für Kinder.
Und dann ist da auch noch der (autobiografische) Roman "Die Zeichner", mit Illustrationen des Autors, ein Ausflug in die Welt der schönen Literatur. Martin Baltscheit war, ist und bleibt Comic-Agent. Mit der besonderen Mission, auch jenseits der Panel-Grenzen bunte Bilder zu säen.


Martin Budde


Auswahlbibliografie:
"Valerius, der Comic-Agent - 1: ...vom Index bedroht!"
(Text Christian Schnalke), Carlsen, Hamburg 1992. dto.,
Bd. 2: "Zeitlos",
Carlsen, Hamburg 1994.
"Lotte & Leo",
Tilsner, München 1994.
"Papa kuck mal",
Alibaba, Frankfurt/M. 1995.
"Kurz, der Kicker",
Alibaba, Frankfurt/M. 1997.
"Lukas haut ab"
(Text Philipp Wegenast), Kaufmann, Lahr 1997.
"Der Neue",
Alibaba, Frankfurt/M. 1998.
"Die Zeichner",
Alibaba, Frankfurt/M. 2000.
"Das Chi Gong des Chinesen Wei",
Edition 52, Wuppertal 2000.
"Der einzige Vogel, der die Kälte nicht fürchtet"
(Text Zoran Drvenkar), Carlsen, Hamburg 2001



Illustration: Andreas Dierssen