Meister des Comic-Journalismus

Mit seinen gross angelegten Reportagen “Palestine” und “Safe Area Gorazde” hat Joe Sacco in den neunziger Jahren für Furore gesorgt und dem Genre der Comic-Reportage zu einer Renaissance verholfen.

Hast du dich als Kind auch schon für Comics und Cartoons interessiert?
Sacco: Zeichnen interessierte mich schon früh, weshalb ich als Kind viel Zeit in meinem Zimmer verbrachte und vor allem zwei Dinge tat: mit Soldaten spielen und zeichnen.
Haben dich Comics beeinflusst, damals, als du noch in Australien lebtest?
Sacco: Ja, ich las Comics, aber nicht, weil meine Eltern Comics gekauft hätten - jemand hatte einst einen ganzen Stapel in unserem Haus hinterlassen. Es waren vor allem Kriegsgeschichten, amerikanische und englische Kriegs-Comics, wie "Sergeant Rock".
Da steckt eine gewisse Ironie drin, da ja deine heutigen Comics sich auch hauptsächlich mit dem Krieg beschäftigen. Interessierten dich die Comics, weil sie Krieg zum Thema hatten, oder war es die den Comics eigene Erzählform?
Sacco: Vermutlich beides, nehme ich an, da ich ja auch Comics zeichnete, die nichts mit Krieg zu tun hatten. Meine ersten eigenen Comics waren sicher auch von den alten Schwarzweissfilmen im Fernsehen beeinflusst. Den ersten Comic zeichnete ich mit sechs. Und auch das Schreiben interessierte mich - ich schrieb, zeichnete dazu, aber vor allem zeichnete ich. Aus irgendeinem Grund zeichnete ich selten Bilder, die einfach so für sich standen. Sie waren immer mit einer Geschichte verbunden; ich nahm wohl einfach an, dass Zeichnungen zu einer Geschichte gehörten. Und ich erzählte gerne Geschichten, das Erzählen interessierte mich schon damals.
Bist du manchmal ins Kunstmuseum in Melbourne gegangen und hast dir dort Bilder angeguckt? Oder in Bibliotheken?
Sacco: Nein. Kunst war für mich damals, was ich aus den Lexika meiner Eltern kannte, oder aus Büchern über die Griechen und Römer, mit wunderbaren Stichen, Reproduktionen, gezeichnet von einem Illustratoren, der diese Arbeit vielleicht einfach als einen Brotjob angesehen hatte. Aber diese Dinge interessierten mich sehr, also siedelte ich die Figuren meiner Comics im antiken Rom oder in Griechenland an. Natürlich waren das eher grobe Zeichnungen - ein paar Säulen stellten einen Tempel dar, so in der Art. Aber manchmal faszinierten mich auch Details, kleine Reliefs an Tempelwänden zum Beispiel. Meistens liess ich mich von meiner direkten Umgebung inspirieren, von Büchern, von Fernsehsendungen.
Wann hast du beschlossen, Zeichner zu werden?
Sacco: Was mich sehr beeinflusste und auch meinen Stil prägte, war MAD. Etwa 1972 begann MAD, alte EC-Comics als Beilage einzuheften. Am meisten gefielen mir die Geschichten von Bill Elder, die wirkten total durchgeknallt. Und ich liebte seine Details, vielleicht ist das der Grund, weshalb ich heute noch so detailverliebt bin und gerne kleine Witze im Hintergrund zeichne.
Du hast dann in den USA, an der Universität von Oregon Journalismus studiert. Hast du damals auch Comics gezeichnet?
Sacco: Ja, immer, aber nie dachte ich daran, einmal als Hauptbeschäftigung Comics zu zeichnen. Es war einfach etwas, das ich ständig machte, ohne Absicht. Aber ich wollte durchaus vollständige Geschichten zeichnen, einmal war ich so von meiner Arbeit hingerissen, dass ich an einem Tag sieben Seiten zeichnete! Mein Stil war allerdings viel einfacher als heute.
Welcher Zeichner hat dich damals am meisten beeinflusst?
Sacco: Nun, ich las damals nicht oft Comics. Ich kannte Chester Browns Arbeiten, und ich war sogar etwas eifersüchtig auf ihn, als ich seinen "Ed the Happy Clown" las, denn ich hätte zu gerne auch so verflucht lustige Einfälle gehabt, so viel lustiger als alles, was ich jemals gezeichnet hatte! Dann denke ich, dass ich eine gewisse Verwandtschaft zu den Bros Hernandez spürte, weil sie in ihren Geschichten etwas tiefer schürfen. Die meisten Comics zeichneten sich ja weder durch Tiefe noch durch Differenziertheit aus.
Und wer war dir Vorbild im Zeichenstil?
Sacco: Bill Elder, wie gesagt, dann auch Breughel und gewisse deutsche Expressionisten.
Hieronymus Bosch?
Sacco: Aber sicher. Ich sehe Breughel als einen Nachfahren von Bosch. Breughel ist einfach bodenständiger, was mir gefällt. Manchmal, als ich an "Gorazde" arbeitete, überlegte ich mir, wie wohl Breughel diesen Holzfäller gezeichnet hätte. Ich wollte wirklich solide Charaktere zeichnen.
Und was denkst du von Basil Wolverton?
Sacco: Ein sehr faszinierenden Zeichner!
Manchmal glaube ich, seine Art von Strich in deinen früheren Werken auftauchen zu sehen.
Sacco: Das mag wohl sein, vielleicht übernimmt man sowas ganz unbewusst. Als ich zum ersten Mal Arbeiten von Wolverton gesehen habe, war ich überwältigt, ich dachte, wow, schau mal diese Figuren an! Es waren ein paar Zeichnungen zum Thema Apokalypse, die mich sicher beeinflussten, weil ich sie immer wieder betrachtete.
Andere Einflüsse?
Sacco: Mit Schriftstellern habe ich mich immer sehr verwandt gefühlt.
Sind dies eher journalistische Autoren?
Sacco: Einer, ein Literat, ist Louis-Ferdinand Céline. Er hat meinen Schreibstil sehr beeinflusst, vor allem in Bezug auf die Gliederung und Positionierung der Sprechblasen und Textkästchen. Seine Wiederholungen und Hervorhebungen von gewissen Sätzen, die zwar oft dasselbe sagen, aber sich langsam zu einem Rhythmus aufschaukeln, gefallen mir sehr. Auch ich begann dann meine Texte aufzubrechen, hier einen Satz, da einen Satz, dort einen Satz. So gelingt es mir, das Auge des Lesers über die Seite zu führen und es dorthin zu lenken, wo ich es haben will. Betonungen werden so hervorgehoben, visuelle Pointen oder Kontrapunkte gesetzt.
Dann beeinflussten mich auch die englischen Autoren aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg; was journalistische Texte betrifft, sicher George Orwell, der mir immer grossen Eindruck machte.
Das leuchtet mir ein, schliesslich bereiste auch er eine ganze Reihe Länder.
Sacco: Ja, er reiste viel und interessierte sich für das Leben einfacher Leute, wie zum Beispiel Bergarbeiter. Er fuhr mit ihnen unter Tage, lebte mit ihnen. Als Autor kann man über solche Themen nicht von ferne schreiben, man muss hingehen.
Was uns von STRAPAZIN besonders interessiert, ist dein "Palästina"-Comic. Vor zwei Jahren wäre das Thema nicht so aktuell gewesen, wie es heute leider wieder ist. Wie denkst du heute über das Buch, das du vor sieben Jahren heraus gegeben hast?
Sacco: Was mir daran nicht mehr gefällt, ist die Tatsache, dass ich zuviele Texte in die Zeichnungen presste, fünfzig Seiten mehr Umfang hätten dem Buch nur gut getan. Aber im Grossen und Ganzen bin ich damit zufrieden, es ist ein authentisches Buch, basierend auf Erlebnisse, die ich in Palästina hatte, und die ich so akkurat wie möglich wiedergeben wollte. Das ist mir, glaube ich, weitgehend gelungen. Ich versuchte, nichts zu verschweigen, auch wenn es um Aussagen von Palästinern ging, die sie nicht in ein besonders gutes Licht stellten. Darauf bin ich stolz.
Du kommentierst nicht viel in deinen Comics.
Sacco: Manchmal schon, das finde ich aber eher schwächere Momente. Wenn ich auf Stellen stosse, in denen ich zuviel kommentierte, denke ich heute, das wäre nicht nötig gewesen, auch wenn es vielleicht clever klang. In "Palästina" habe ich eine sozusagen literarischere Sprache gepflegt als in "Gorazde".
Wie meinst du das?
Sacco: In dem Sinn, als ich damals mehr mit der Sprache spielte. In "Gorazde" versuchte ich absichtlich, direkter zu sein, um den Fluss der Geschichte nicht zu behindern. Die Geschichte und die Charaktere sollten die Hauptsache sein. In "Palästina" war ich ja eigentlich selbst die Hauptfigur, ich war derjenige, der die Fäden in der Hand hielt.
Um noch einmal auf deine Art des Kommentierens zurück zu kommen: Wie waren die Reaktionen auf "Palästina"? Gab es Kritik auf einer politischen Ebene? Was mich betrifft, hatte ich bei der Lektüre nicht das Gefühl, dass du dich ausschliesslich auf Seiten der Palästinenser stellst.
Sacco: Doch, ich würde schon sagen, dass ich durchaus mit der Sache der Palästinenser sympathisiere. Ich denke, den Palästinensern wurde in der Vergangenheit von Israel Unrecht angetan, ohne dass man Israel je dafür belangte. Wenn man das pro-palästinisch nennen will, habe ich damit kein Problem. Natürlich bekam ich nach Erscheinen des Buches ein paar sehr aufgebrachte und aggressive Anrufe und Briefe, aber das juckt mich nicht sonderlich. Alles in allem waren die Reaktionen durchaus positiv, die Leute fanden es ein ehrliches Buch. Wer eine Zeit lang mit offenen Augen in Palästina gelebt hat, schätzte mein Buch, was mich freut. Wie gesagt, lag mir nichts daran, die Palästinenser zu verklären. Als Individuen mögen sie oftmals unrecht handeln, aber als Volk hat man ihnen Unrecht angetan.


Dieses Interview ist ein Auszug aus einem mehrstündigen Gespräch, das Marc Nevins am 27. Januar 2002 mit Joe Sacco führte. Das vollständige Interview wird - auf Englisch - im nächsten "International Journal of Comic Art" publiziert. Mehr Informationen über Joe Sacco und “Palestine”, sowie die Sarajevo-Reportage “Soba” im STRAPAZIN 52.

von Mark Nevins