Illustrationen: Reinhard Kleist

Entsetzen vor Ideologie

 

"Amerikaner glauben nicht einfach nur, dass Amerika das beste, freieste, reichste und mächtigste Land der Welt sei. Sie glauben, dass Amerika anders sei. Glücklicher. Gefeit gegen jene Heimsuchungen und Katastrophen, die über andere Länder brechen können”, schrieb Amerikas Essayistin Susan Sontag im Herbst in der Zeitschrift Lettre International. Am 11. September 2001 sei diese Doktrin der "Ausnahmestellung Amerikas” erschüttert worden, fährt Sontag fort, denn allein die Tatsache, dass in ihrem Land ein Terrorangriff möglich sei, habe den Amerikanern das Gefühl vermittelt, schwach zu sein. Wie schwach, davon berichten mehrheitlich die Beiträge der beiden Comicbände "9-11 Volume 1 & 2”, in denen Zeichner und Zeichnerinnen aus den Verlagen Chaos!, Dark Horse, Image und DC ihre "Antworten” auf die Anschläge auf das World Trade Center geben.
"An diesem Tag waren wir alle verwundet, aber nicht geschlagen”, wird man da beispielsweise belehrt. "An diesem Tag waren wir alle Krieger. 09-11-2001.” Und weiter spinnt sich der Faden der Heroik: "Es gibt nie zu viele Helden” ist eine der Devisen im zweiten, im DC-Band, mit der alle im Einsatz stehenden Feuerwehrleute, Polizeibeamte, Krankenschwestern, Ärztinnen zu "wahren und wirklichen Helden” stilisiert werden, denen selbst der "unwirkliche” Superman seine Achtung zollt.
Bei der Lektüre solch platter Kraftprotzerei und superpatriotischer Rhetorik befällt einen doch zwischendurch und immer wieder ein klammes und schales Würgegefühl, das spätestens dann, wenn der edle Weisskopfadler seine weiten Schwingen öffnet und über alle die brennenden Kerzen und Hände haltenden Menschen hinweg zieht, einer blossen Verständnislosigkeit weicht und man sich als Europäer nicht minder vor den Kopf gestossen fühlt als ein Amerikaner, der sich über die von CNN gezeigten Drohgebärden eines Afghanen entsetzt.
Dabei gibt es – namentlich im ersten Band – durchaus auch andere Beiträge, die frei von ideologischen Rastern einfach dokumentieren, was an jenem Tag in den Strassen New Yorks ablief, als Menschen plötzlich aus ihren Alltagssorgen gerissen wurden und überrumpelt und gebannt von der Macht der Bilder vor laufenden Fernsehgeräten verharrten und um Worte für das Unerklärliche rangen. Nur gehen diese feinfühligeren Darstellungen völlig unter im Strom der heroischen Ideologie der "besten aller Nationen”.
Florian Meyer

 


Diverse AutorInnen: "9-11”,
Band 1 und 2, vierfarbig, je 192 Seiten,
Dark Horse, $ 9.95 / Sfr. 22.-

Abenteuer und Affären

 

Isaac Sofer, eine Landratte, die vom aufregenden Leben auf hoher See träumt und ihr Dasein nicht sehr erfolgreich als Maler fristet, wird eines Tages von einem seltsamen Fremdling kraft eines Beutels voller Goldstücke und der Verheissung grosser Abenteuer auf ein Handelsschiff gelockt. Nicht klein ist Isaacs Schrecken, als er feststellt, dass das Schiff Kurs auf Amerika nimmt und er seine Verlobte Alice wohl längere Zeit nicht mehr sehen wird. Und noch grösser ist sein Entsetzen, als sich der alte Chirurg Henri Demelin als Verräter entpuppt, der das Schiff geradewegs in die Fänge der blutrünstigen Piratenbande von Jean Mainbasse segeln lässt. Und da begreift Isaac seine neue Lebensaufgabe: Er soll die Helden- und Untaten des Piratenhauptmanns, die ausgelassene Wildheit des Freibeuterlebens, aber auch die Schönheit der Sieben Weltmeere auf Papier verewigen.
Christophe Blain, der zur jüngeren Generation französischer Comic-Autoren gehört und schon mit Leuten wie David B., Joann Sfar und Lewis Trondheim gearbeitet hat, ist nicht nur, wie er es in "Hop Frog" (Szenario: David B.) unter Beweis stellte, ein hervorragender Zeichner, sondern auch ein begnadeter Erzähler, dessen "Le Réducteur de Vitesse" (1999) eines der überzeugendsten Debüts seit Jahren war. Seine am diesjährigen Salon von Angoulême mit dem Alph'Art für das beste Album des Jahres ausgezeichnete Serie "Isaac le Pirate" ist eine Bande dessinée, wie man sie sich wünscht, aber viel zu selten zu lesen bekommt. Eine echte Piratengeschichte mit Totenkopfflagge und ohne Scheu vor allen möglichen Klischees. Blain gibt uns exotische Gestade, verführerische Damen, Fässer voll Rum und Kisten voller Goldstücke, mörderische Stürme, malerische Schlupfwinkel auf paradiesischen Inseln, Kanonendonner, einen Seeräuberhauptmann, der nach dem Eldorado jenseits des Eismeeres sucht – kurz, alles, was Männer halt so um die Welt treibt, und was uns dazu bringt, eine Piratengeschichte zu lesen.
Blain aber unterläuft das Genre, er verschiebt und bricht die Klischees auf eine elegante, unaufdringliche, sehr beiläufige Weise. Zum einen durch seinen schnellen, lockeren, das Wesentliche einfangenden Strich und die ausdrucksstarken Farben. Zum zweiten durch den Humor, die Ironie und haufenweise überraschende Details, durch rührende Momente (wenn etwa die hartgesottenen Piraten Isaac um Zeichnungen schöner Frauen bitten) und bittere Tragödien im ewigen Eis. Nicht zuletzt auch durch die Gegenüberstellung von Isaacs Abenteuern mit dem Strohwitwendasein seiner Verlobten in der Heimatstadt. Die schöne und belesene Alice wird vom gebildeten und gut aussehenden Edelmann Philippe du Chemin Vert als Sekretärin angestellt und dann umworben, und sie ... - naja, ihre Mutter bedeutet ihr durch die Blume, dass, solange Isaac weit weg weilt und nichts davon erfährt, eine Affaire durchaus drinliegt ...
Blains eigenwilliger Umgang mit dem Genre, seine überzeugende Schilderung von Charakteren, Gefühlen und Beziehungen verleihen "Isaac le Pirate" eine Frische, die die Serie weit aus dem französischen Comic-Mainstream herausragen lässt und zum unvergleichlichen Lesevergnügen macht. So sollte die klassische französische Bande dessinée heute aussehen!
Christian Gasser

 


Christophe Blain, "Isaac le Pirate: Les Amériques", "Isaac le Pirate: Les Glaces", vierfarbig, je 48 Seiten, Dargaud, Collection Poisson Pilote, Euro 9.45/Sfr. 17. 90

Tragische Biographien

 

Die Comic-Biographie "Che" des Szenaristen Hector Oesterheld und der Zeichner Alberto und Enrique Breccia gehört nicht zuletzt aus historischen Gründen zu den legendärsten Comics überhaupt: Entstanden in den späten Sechzigerjahren, als unmittelbare Reaktion auf die Ermordung des argentinischen Revolutionärs, wurde "Che" zum Bestseller. Wenig später putschten sich in Argentinien die Generäle an die Macht, "Che" wurde verboten, Oesterheld verschwand und wurde hingerichtet, und Breccia zog sich vorsorglich aufs Land zurück. Seither wuchs der Mythos um dieses Album, das bis vor kurzem, abgesehen von obskuren spanischen und italienischen Ausgaben, nicht greifbar war. Der belgische Verlag Fréon erlaubt "Che" nun eine Auferstehung in unseren Breitengraden. Der Moment scheint gut gewählt – el Che als Vorbild der Globalisierungsgegner?
Die Lektüre lässt den Leser etwas perplex zurück. Ches Lebensgeschichte wird gar ungebrochen erzählt, die kubanische Revolution als heroischer Durchmarsch inszeniert und Che als makellose Lichtfigur beschwört. In einem im Album abgedruckten Interview von 1992 räumt Breccia ein, sie hätten sich bemüht, ein möglichst reines Bild von Che Guevara zu zeichnen und die Gründe für sein politisches Engagement zugunsten der dritten Welt aufzuzeigen. So wirkt "Che" in erster Linie wie ein Zeitdokument, das die Stimmung, die Haltung, und auch die Illusionen der Sechzigerjahre zum Ausdruck bringt.
Und doch ist "Che" ein aussergewöhnlicher, ja grossartiger Comic: Dank der Zeichnungen von Alberto Breccia und seinem Sohn Enrique, deren zwischen Realismus und expressionistischer Überzeichnung abwechselnder, aber immer düsterer und schroffer Stil den idealistischen Überschwang des Inhaltes unterlaufen und bisweilen gar Lügen zu strafen scheinen. Als hätte der Zeichner Breccia die bleiernen Jahre der Militärdiktatur und die Zerstörung der Hoffnungen auf eine gerechtere Welt vorausgeahnt.
Vielleicht war das Thema "Che" für Alberto Breccia ganz einfach zu konkret und zu stark an eine vorgegebene Realität gebunden. Eine seiner Stärken war es ja, die grotesken Aspekte der Wirklichkeit aufzuspüren und herauszuarbeiten. Oder – dies vor allem während der Militärdiktatur – die grossen Themen anhand von Nebensächlichkeiten zu verarbeiten. Viel besser entsprach ihm da die Figur des "Buscavidas", die der Comic-Szenarist und Werbetexter Trillo in den frühen Achtzigerjahren, als die Zensur etwas lockerer wurde, für ihn schuf. Buscavidas (Lebenssucher) ist ein monströs unförmiger Mensch, der sich instinktiv immer dort aufhält, wo sich eine tragische, bitterkomische, schmutzige oder ganz einfach erbärmliche Lebensgeschichte darbietet. Verbotene oder verratene Liebe, Betrug, Elend, Hunger, Selbstmord und Totschlag, Korruption und Giftmischerei – kurze Alpträume, die Buscavidas nicht immer ohne Häme und Fiesheit mit dem Leser teilt und die Alberto Breccia mit der Grausamkeit des humorvollen Pessimisten und mit seiner unbändigen Lust zu grotesken Schattenspielen überzeichnet und um eine satirische Ebene erweitert.
Christian Gasser

Hector Oesterheld / Alberto Breccia / Enrique Breccia, "Che", schwarzweiss, 80 Seiten, Editions Fréon, Euro 14.- / Sfr. 31.- Carlos Trillo / Alberto Breccia, "Buscavidas", schwarzweiss, Rackham, Euro 13.- / ca. Sfr. 20.-

Unvertraute Nähe

 

Manche Geschichten kommen einfach daher. Manche Geschichten sagen kein Wort zuviel und teilen doch unglaublich viel mit. "Quelqu’un va venir” (Es wird jemand kommen) des französischen Zeichners Pierre Duba und desnorwegischen Theaterautors Jon Fosse ist so eine Geschichte.
Ein Mann. Eine Frau. Allein miteinander, auf der Flucht zu sich selbst. Dazu ein Haus auf einer Insel. Keine Städte, keine Dörfer – Raum. Offen ist die Landschaft und von unerfüllter Weite und unerschöpflicher Tiefe das ringsum wogende Meer. Mehr gibt’s nicht in dieser Geschichte, nur das Paar zählt und sein Wunsch nach einer stillen, wahren Liebe, die niemand beeinträchtigen kann. "Wir sind jetzt bei unserem Haus angekommen”, sagt die Frau zu Beginn. "Und es ist ein schönes Haus”, ergänzt der Mann. Und die Frau fährt fort: "Unser Haus, zu dem niemand kommen wird. Das Haus, in dem wir zusammen sein werden. Allein. Der eine nahe beim anderen.” Doch diese Nähe wird allzu bald unvertraut und antastbar. Überall lauern Quellen der Irritation. Eifersucht keimt auf, als der vormalige Hausbesitzer erscheint und Kontakt sucht. Gefühle flattern, als selbst das Haus mit all seinen Erinnerungen zum Leben erwacht und die beiden namenlos Verlorenen zwischen Beklemmung und Hoffnung hin und her reisst. "Man sieht nichts als das Meer”, sagt die Frau in der Mitte des Stücks, "doch es tut gut, das Meer zu betrachten, man fühlt sich so in Sicherheit. Du und ich und das Meer dort drüben.” "Das Meer ist schwarz und weiss mit seinen Wogen, mit seinen Schwärzen und süssen Tiefen”, sagt der Mann gegen Ende ermattet, und sein Gesicht zerfliesst für den Moment eines Panels zu einer Totenmaske.
"Beim Schreiben geht es eigentlich immer um Leben und Tod”, gestand einst Jon Fosse. Doch wo andere grossen Themen mit grossen Worten begegnen, beschränkt sich Fosse, heute Norwegens meistgespielter Theaterautor nach Henrik Ibsen, auf ein minimalistisches Spiel laufender Wiederholungen und Verfremdungen. Schlüsselsätze werden wie das Leitmotiv einer symphonischen Dichtung durchgespielt, in allen ihren Schattierungen ausgeleuchtet und in allen ihren möglichen Bedeutungen ausgelotet und umranden so eine Sprache für das Unbeschreibbare und zutiefst Melancholische. Eine Sprache freilich, die ganz von den unausgesprochenen Lücken zwischen den Worten lebt.
Diese Lücken in den Dialogen nutzt der französische Zeichner und Illustrator Pierre Duba, um das bruchstückhaft Gesagte zu untermalen und in ein sinngebendes Bild einzupassen. "Jedes einzelne Bild soll in seiner Stimmung die ganze Geschichte umfassen”, erklärt der 1960 in England geborene und im Elsass aufgewachsene Pierre Duba. Fosses Prinzip der Reduktion und Auflösung übernehmend, taucht er das gesamte Geschehen in ein fahles Licht, unter dem sämtliche Personen und Dinge der Alltagswelt in ihren Umrissen noch klar erkennbar bleiben, jedoch jegliches Anzeichen von Individualität vermissen lassen. Einzig die auffallend stechenden Augen heben sich deutlich hervor, und bilden Fixpunkte in der ansonsten vagen Landschaft.
Ursprünglich als Schwarzweiss-Comic vorgesehen, reduziert Duba auch das Farbenspektrum auf ein Minimum – zumeist prägt herbstlich-dunkles Braun die Panels, durchbrochen von Grün und Grau, den Vorboten des aufkommenden Unwetters, und gegen Ende, kurz vor der emotionalen Eskalation, flackert Rot auf. Das Ende selbst freilich bleibt unausgesprochen: "Lange Stille.”
Florian Meyer


Pierre Duba / Jon Fosse, "Quelqu’un va venir”, vierfarbig, 64 Seiten, 6 pieds sous terre éditions, Euro 22.50 /. Sfr. 40.-
Die deutschen Übersetzungen von Jon Fosses Romanen und Theaterstücken erschienen bei Rowohlt, zuletzt "Melancholie”, Euro 9.90/Sfr.15.-

Teilzeitliteratur

 

Tim Kongo, der auf diesen Seiten Comics rezensiert , führt ja bekanntlich mehrere Leben. Nun hat sein Alter Ego Tom Combo ein Buch geschrieben. Es heisst "Vielleicht nur Teilzeit", ist beim Verbrecher-Verlag in Berlin erschienen und enthält Reportagen, fetzige Robben-Science-Fiction und unerwartete Dialoge, wie zum Beispiel diesen hier: "Stell dir vor,” sagte sie nach einem Schluck aus dem halbvollen Glas, "du würdest mit einem Haarausfall zusammenleben. Einem Haarausfall, der starrt. Und damit meine ich nicht nur die Art zu schauen, nein, ich meine damit den Zustand, in dem er sich befindet. Er starrt. Nichts weiter." Literatur mit Herz also, Literatur mit Zukunft und mit Illustrationen von Jim Avignon!
David Basler

Tom Combo, "Vielleicht nur Teilzeit”, Verbrecher Verlag, Berlin, Euro 12.50 / Sfr. 24.-

Präzise Blicke

 

Noch nie wurden so viele und so gute französische Erzählcomics gezeichnet wie heute. Guibert, Sfar, Trondheim, sind nur einige der Zeichner, die zurzeit in grossem Umfang hervorragende Bildergeschichten produzieren. Mit "Mein Bruder Flo" legen nun der in der Bretagne lebende Schriftsteller José-Luis Bocquet und der Zürcher Zeichner Andreas Gefe einen Band vor, der mit zu den besten des Genres gehört. Überraschend ist dies nicht: Gefe ist nicht nur ein begehrter Illustrator, sondern legte bereits mit "Madame Lambert" eine atmosphärisch dichte Comic-Erzählung vor. Gefes Bilder haben den Romancier und Krimi-Autor Bocquet überzeugt, der sich auf eine Anfrage des Verlages hin bereit erklärte, ein extra auf Gefes Zeichenstil hin zugeschnittenes Szenario zu schreiben.
Der blonde Ich-Erzähler und der dunkelhäutige Flo sind zwei Jugendliche, die als Kleinkinder von einem Paar auf dem Lande adoptiert worden sind. Sie wachsen wie Zwillingsbrüder auf. Doch Flo, der sich wegen seiner Hautfarbe ausgeschlossen fühlt, beschliesst irgendwann, in die Grossstadt zu gehen. Dort würden ihn seine Brüder, erwarten, wurde ihm gesagt. Die stille Handlung beginnt langsam und beschaulich, beschleunigt sich aber bis am Schluss so sehr, dass man als Leser von den Ereignissen fast so überrumpelt wird wie die beiden Hauptfiguren.
So geradlinig die Story ist, so aufwändig erscheint deren technische Umsetzung. Gefe fertigt Skizzen an, trägt dann einen dünnen Film Ölfarbe auf eine Glasplatte auf, legt die Skizze darauf und zieht die Linien nach. Dadurch nimmt das Papier auf der Rückseite die Farbe auf und lässt etwa durch Druck mit einem Finger seine Struktur zum Vorschein treten. Diese Technik, Monotypie genannt, hat immer etwas Zufälliges. Man weiss nie, wie fest der Strich an seinen Rändern verschwimmt oder wie genau die Papierstruktur zum Vorschein kommt. Am Computer schliesslich geschieht die Endbearbeitung. Hier entsteht der graublaue Ton, der "Mein Bruder Flo" von Anfang bis Ende durchzieht, hier fallen die Schatten, mit denen Gefe die Gesichter, die bislang nur aus wenigen Strichen bestanden, richtiggehend modelliert. Je tiefer die Protagonisten in den Sumpf der Grossstadt geraten, desto düsterer werden die Bilder. Eine Stimmung wie in einen Film Noir entsteht. Gefe arrangiert die Figuren wie auf einem Filmset und erzeugt mit Lichteffekten Dynamik und Tiefe.
Auffallend ist, wie präzise sich die Blicke der Personen treffen oder aneinander vorbeigehen. In "Mein Bruder Flo" scheint auf zwingende Weise immer alles klar zu sein. Mehr als knappe Kommentare und Dialoge sind nicht nötig, um die Geschichte ihrem unausweichlichen Ende entgegen zu führen. Und mehr ist auch nicht zu sagen, als dass "Mein Bruder Flo" eine perfekte Verbindung aus Bild, Text und Dramaturgie ist.
Tim Kongo


Andreas Gefe, J.-L. Bocquet, "Mein Bruder Flo”, zweifarbig, 72 Seiten,
Arrache Coeur, Euro 22.- / Sfr. 38.-

Turbulenzen im Kreis 5

 

Als ich einmal, anfangs der Neunzigerjahre, nach kurzer Zeit im Ausland in meine Wohnung an der Zürcher Klingenstrasse zurückkehrte, staunte ich nicht schlecht: Der Fabrikkomplex und die leerstehenden Wohnhäuser gegenüber hatten sich während meiner Abwesenheit in eine gigantische Villa Kunterbunt verwandelt. Fürderhin besass ich einen Logenplatz mit direkter Sicht auf Zürichs grösstes besetztes Areal jener Epoche. Auf der zum Hauptbahnhof gerichteten Fassade des einen Hauses begrüsste die Inschrift "ALLES WIRD GUT" die Reisenden, vom Dach eines anderen Gebäudes informierte ein riesiges "ZUREICH" über den Zustand der Stadt. Vor und in den Häusern gings von nun an ziemlich laut her, in der Gegend war aber auch sonst so einiges los, denn die von der abrupten Schliessung des "Needleparks” betroffenen Drogenhändler und -konsumenten hatten sich längst im Quartier verteilt. Amok-Koma im Kreis 5.
Zur Entstehung des Comicbuches "Schmetterling”, das mir aus begreiflichen Gründen nahe geht, zitiere ich den Umschlagtext: "Ende 1994 zog Mark Paterson von Schaffhausen nach Zürich an die Josefstrasse im Kreis 5. Dort lebte er gut fünf Jahre in einer Gross-WG direkt an der Langstrasse. Als Plakataufhänger flitzte er mit dem Velo im Quartier herum und erlebte das Treiben, die Umwälzungen und die Räuber-und-Polizei-Spiele hautnah. Und so entstand auch diese Geschichte”. Die Geschichte von Benni nämlich, der "eher unfreiwillig durch den Kreis 5 stolpert” und unter anderem eben auch in der "Mariposa” genannten "Wohlgroth” landet. Dort kriegt Benni einen "sturmen Grind”, auf Deutsch: sein Gehirn wird infolge Cannabisgenusses von einer Bilderflut heimgesucht. Da die Gegend schon an und für sich halluzinogen wirken konnte, weiss Benni einige Zeit nicht mehr, wie und was ihm geschieht. Ratten, Parolen, Polente, Punks, Prolos, die Voyeure des Fixer-Elends, Gruftis, Grüsel und Profitgeier - alle ziehen in wildem Wirbel an Benni vorbei. Und dann gibts da auch noch eine Leiche.
Paterson spricht eine formal durchaus eigenständige, wenn auch im Figurativen öfters (noch) etwas ungelenke Sprache. Die Perspektiven und Details sind attraktiv inszeniert; Häuser, Punks, Skins und Eisenbahnbrücken wirbeln durcheinander, genauso wie sie damals immer durcheinander wirbelten, wenn ich jeweils, nicht mehr ganz nüchtern, den Weg vom "Wohlgroth” zu meiner Haustüre suchte.
Hans Keller


Mark Paterson, "Schmetterling", schwarzweiss, ca. Euro 12.- / Sfr. 20.-, Mauerblümchen-Verlag, mauerbluemchen@gammarus.ch

Seilspringen mit Kopftüchern

 

Marji ist 12 Jahre alt und steht im Büro ihres Vaters in Teheran. Die Stadt wird gerade von irakischen Fliegern beschossen. Für Marji nur die Fortsetzung dessen, was mit den Folterungen des Schah-Regimes begonnen hatte und mit den Gemetzeln der Fundamentalisten fortgesetzt worden war. Ein Teil der Bevölkerung scheint sich den Umständen perfekt angepasst zu haben: Die Frau, die zu Zeiten des Schahs noch Mini getragen hat, geht nur noch im Schleier auf die Strasse, der Mann, der jeden Abend besoffen nach Hause kam, rümpft nun die Nase, wenn er irgendwo eine Flasche Alkohol sieht.
Mit der vierteiligen Reihe "Persepolis", deren zweiter Band vor kurzem den Preis "Coup de Coeur" am Comicfestival in Angoulême gewonnen hat, zeichnete Marjana Satrapi den ersten iranischen Comic. Bedeutend ist dies vor allem deswegen, weil die Bilder, die wir seit über zwanzig Jahren aus dem Iran geliefert bekommen, weder zahlreich noch stets frei von propagandistischen Untertönen sind.
"Persepolis" ist aus der Perspektive der jungen Marji heraus geschrieben. Durch sie erfährt der Leser von Verwandten und Bekannten, die wegen ihrer kommunistischen Überzeugung während des Schah-Regimes im Gefängnis gefoltert wurden, durch ihre Augen sieht man die gleichaltrigen Schüler, die später mit dem "Schlüssel zum Tor des Himmels” in den Krieg geschickt werden.
Trotz aller Schrecken verfällt Satrapi nie in einen weinerlichen Ton. Unzimperlich und humorvoll beschreibt sie die Absurditäten des Alltags und wie Kinder damit umgehen, wie sie sich über selbstkasteiende Fanatiker lustig machen, oder mit Kopftüchern Seilspringen üben.
Marjane Satrapi zeichnet in den ersten beiden Bänden von "Persepolis” ein anderes Bild vom Iran als das eines "Mullah-Schurkenstaates”. Auf die Fortsetzung, die im Exil in Europa spielen wird, kann man also mehr als gespannt sein.
Tim Kongo


Marjane Satrapi, "Persepolis”, schwarzweiss,
bisher 2 Bände à 80 Seiten,
L'Association, ca. Euro 15.- / Sfr. 25.-

Canadian Environment

 

Der spirituelle Schlüssel zu diesem Band findet sich auf Seite 208. Unter einem Selbstporträt von Seth, dem beim Betrachten eines Buches mit dem Titel "The Sweet Vanished Past" eine Träne über die Backe rollt, steht ein aufklärender Text: "Seth ist 1962 geboren, genau zu jenem Zeitpunkt, als die 'alte' Welt des frühen 20. Jahrhundert zu sterben begann und die 'moderne' Periode einsetzte. Dieses Sketchbuch offenbart, dass Seth von den künstlichen Aspekten der Ära seiner Eltern fasziniert ist".
"Vernacular Drawings" enthält zwischen 1989 und 2001 entstandenes Material. Die Motive der meisten dieser Blätter sind mit sicherem, weichem Pinselstrich festgehalten. Seth streichelt damit leichtbeschürzte Vaudeville-Girls aus den dreissiger Jahren, den an einem winterlichen Ahornstamm bohrenden Sirup-Sammler, Fischer mit ihrem Fang oder einen einsamen, nachts den Eisenbahnschienen entlangwandernden Tramp. Als Vorlagen dienten meist alte Fotos, die ältesten aus den Zwanzigerjahren, oft Jazz- und Musik-Legenden wie Bessie Smith oder Jimmy Rodgers darstellend. Seths Anspruch an sich selbst bestand darin, die Fotos ins Medium Comic zu transportieren, ohne dass dabei das Flair der jeweiligen Ära verloren geht.
Meist sind die Zeichnungen in der Chronologie ihres Entstehens geordnet; wichtiger als die zeitlich genaue Abfolge war Seth aber das Gruppieren der Werke. Zum Beispiel, auf den Seiten 30 und 31, rechts das Portrait eines konzentriert und völlig in sich gekehrt zu Boden blickenden Torreros, links eine von ihm weg aus dem Buch hinausschauende Frau mit Kopfschleier - vielleicht der Moment nach einer Auseinandersetzung, die eben zwischen den beiden stattgefunden hat? Seth ist ein Meister der reduzierten Darstellung eines Gesichtsausdruckes oder einer Landschafts- und Jahreszeitstimmung, und er kann Häuser zum Sprechen bringen, wie den Waschsalon auf Seite 46, der auf mysteriöse Weise mit dem Ice-Cream-Stand gegenüber zu kommunizieren scheint. Und handelt es sich beim Balkon vom 17. Januar 2000 eventuell um die Rückseite der Bakery vom 21. des gleichen Monates? Der Betrachter wird angeregt, sich seine eigenen Geschichten zusammenzustellen: Was könnten die schöne Frau mit dem Kopftuch und der zwanzig Seiten später im tadellosen Anzug unter einem Apfelbaum wandelnde Mann miteinander zu tun haben? In welchem der Holzhäuser wohnt der Eishockeyspieler und in welchem Diner verkehrt er mit wem? Phantasieanregend ist Seth allemal!
Hans Keller


Seth, "Vernacular Drawings",
208 Seiten, vierfarbig, gebunden,
Drawn & Quarterly, Sfr. 77.-/$ 35

Comics ist kein Kino auf Papier!

 

Der französischsprachige Comic verjüngt und erneuert sich immer wieder, neun Vertreter dieser Erneuerung hat Yves Dayez interviewt: Blain, Blutch, David B., de Crézy, Dupuy-Berberian, Guibert, Rabaté, Sfar. (Lewis Trondheim weigerte sich, interviewt zu werden, dafür illustrierte er das Titelblatt und die Kapiteldeckblätter). Waren es früher Zeitschriften wie "Pilote” (mit Goscinny), "Charlie Mensuel” (Muñoz/Sampayo), "A suivre” (Tardi) und "Metal Hurlant”, die stilbildend waren, wurde "La Nouvelle Bande Dessinée” anfangs der Neunzigerjahre durch die Gründung des Autorenverlages "L’Association” ausgelöst. Bald wurden traditionelle Verlage wie Delcourt, Dargaud und Dupuis auf diese neuen Autoren aufmerksam, nur Casterman verschlief diese Entwicklung, obwohl der Verlag bis dahin als Trendführer galt. Mit Auflagen von jeweils um 10’000 Exemplare lassen die Verleger ihren neuen Autoren viel Freiheit, dementsprechend entstehen facettenreiche, innovative Werke. Ein Musterbeispiel ist die Serie "Donjon” (auf Deutsch bei Carlsen), in der Joann Sfar und Lewis Trondheim sich austoben und auch alle ihre Freunde einladen, mitzuzeichnen. Zentral für die Kontakte untereinander ist nebst "L’Association” das Atelier des Vosges (an der vornehmen Place des Vosges in Paris), wo unter anderem Joann Sfar, Christophe Blain, Nicolas de Crézy, David B. gearbeitet haben oder noch arbeiten.
Nebst interessanten biographischen Angaben wimmelt es in Dayez‘ Interviews von grundlegenden Gedanken über das Comicschaffen. Daraus ein paar Kostproben:
Blutch: "Comics ist kein Kino auf Papier! Der Comics hat seine Eigenart, und es liegt an uns Autoren, diese auszuloten und nicht das Kino nachzuäffen.”
Sfar: "Eine gute Zeichnung ist ein Zeichnung, die etwas erzählt. Eine schöne Zeichnung befriedigt mich nicht .”
Rabaté: "Eine Seite ist ein globaler Gedanke, und damit die einzelnen Panels darauf funktionieren, müssen sie unbedingt narrativen Charakter haben. Der Blick des Lesers darf nicht wie bei einem Gemälde darauf stehenbleiben.”
Sfar: "Ich denke, dass der Comic gegenüber der Kunst auf verlorenem Posten steht. Ein Comicoriginal an der Wand wird nie so wie ein Gemälde beeindrucken. Im erzählerischen Bereich hingegen hat er etwas zu sagen.”
David B.: "Die Zusammenarbeit zwischen dem Szenaristen und dem Zeichner muss auf einem Austausch beruhen, das ist ganz wichtig für mich. Darum arbeite ich nur mit Freunden.”
De Crézy: "Die Welt zeichnend zu sehen, ist ein Problem. Man nimmt am Leben nicht mehr Teil, wird zum Zuschauer, zum Auge. Das ist sehr mühsam. Ich war als Kind schon so und muss damit leben.”
Blutch: "Jeder Zeichner, oder ganz allgemein jeder Künstler ist Individualist. Auch wenn er mit andern Leuten zusammen ist, hat er nur eins im Kopf: Allein zu sein in seiner Welt, um mit seinen Figuren zu spielen, Schlösser zu bauen oder Geschichten zu erfinden.”
Im Vorwort zu seinem Interviewbuch "La Nouvelle Bande Dessinée” beklagt Autor Yves Dayez, dass die kritische Auseinandersetzung mit dem Comic in den französischen Medien praktisch inexistent sei, obwohl die Auflagen der französischsprachigen Comicalben zu den höchsten der Welt zählen. Sein Buch ist dazu mehr als eine Anregung. Es ist ein Muss für alle Comicfans, insbesondere für alle – auch deutschsprachigen – Comiczeichner!
David Basler

 

 


Dayez, "La Nouvelle Bande Dessinée”, 200 Seiten,
Editions Niffle, Euro 23.- / Sfr. 47.30

vorgestellt von Claudia Jerusalem

 

 

 

Seit dem Erscheinen seiner letzten Comic-Alben vor gut fünf Jahren konzentrierte sich der Schweizer Zeichner und Schabkarton-Experte Thomas Ott verstärkt auf seine Tätigkeit als Illustrator und Filmemacher. Jetzt hat die Edition Moderne eine ausführliche Werkedition mit seinen illustrativen Arbeiten von 1985 bis 2001 herausgegeben. Auf 120 Seiten, unterteilt in sechs Kapitel, die sich zwischen "Faith & Ruin" und "Doubts & Desperation" bewegen, präsentiert sich die Vielfältigkeit seines über sechzehnjährigen Schaffens. Die schön gestaltete Ausgabe im Grossformat beinhaltet Zeichnungen aus seinen bei Edition Moderne erschienenen Comics, Plattencover für Bands wie z.B. The Notwist, Buchillustrationen und T-Shirt-Motive. Neben dem regulären Band ist eine eigens für den Zürcher Comicshop Analph produzierte und auf 111 Exemplare limitierte Ausgabe mit Variantcover erhältlich. Diese kann für 99.- sFr direkt bei Analph, Strassburgstr. 10, CH-8004 Zürich, www.analph.ch bestellt werden.

Thomas Ott, "t.o.t.t.", 120 Seiten, s/w, Hardcover,
Edition Moderne, Euro 47.50 / Sfr. 78.-


 

Charles Burns' Idee zu seinem Skizzenbuch "Close your Eyes" entstand, als er 1996 seine beiden Töchter zur ersten Klavierstunde begleitete. Abgelenkt von ihren Übungen, war er nicht fähig, an seinen eigenen Zeichnungen zu arbeiten. Statt untätig herum zu sitzen, suchte er sich für jede Stunde eine Zeichnung eines Comic-Künstlers aus, klebte sie in sein Skizzenbuch und interpretierte sie auf seine Art. Entstanden sind so über die Jahre zahlreiche Kopien "geliehener" Zeichnungen von Künstlern wie Julie Doucet, Daniel Clowes, Dave Cooper und Art Spiegelman. Den vielfältigen Skizzen hat Charles Burns einen überaus lesenswerten Text zu den Bildnachweisen beigefügt.

Charles Burns, "Close your Eyes", 128 Seiten, s/w, Softcover,
Le Dernier Cri, Euro 15.-/Sfr. 29.90.
Zu beziehen über den Comicshop Analph bzw. Das Sortiment bei Reprodukt, Bülowstr. 52/A5, D-10783 Berlin, www.dassortiment.de


 

Mit "Spring!" und "Wald der Pfade" sind zwei neue, schwarzweisse Geschichten in der Reihe "R-24" bei Reprodukt erschienen. In "Spring!" muss sich Calle Claus' jugendlicher Protagonist im Schwimmbad vor seinen Freunden behaupten. Er hat beim Flaschendrehen verloren und steht nun vor der Wahl, entweder seine Angebetete aus der 6b zu küssen oder vom Fünfmeterbrett zu springen. Mit viel Überwindung gelingt ihm schliesslich die Mutprobe.
Frank Schmolkes "Wald der Pfade" handelt von einem kleinen Nagetier, das sich flink durch die Äste des Waldes bewegt. Eine poetische Geschichte über die Suche nach dem richtigen Weg und das Glück, diesen zu finden.
Neben den beiden Neuerscheinungen sind Lewis Trondheims "Intriganten" und "Nein, Nein, Nein" als Nachdrucke in der gleichen Reihe wieder lieferbar.

Calle Claus, "Spring!", Frank Schmolke, "Wald der Pfade", 24 Seiten, s/w, geheftet.
Reprodukt, je Euro 3.-/Sfr. 5.-


 

Ein Zirkus am Rande der Stadt. Während sich der Schwertschlucker mit der Hundedresseurin auf fleischliche Weise vergnügt, hat der träumerische Clown seine Liebe in einer kleinen Blume gefunden. Das ungleiche Paar träumt von einer gemeinsamen Zukunft fern ab des Zirkus, doch der Clown muss seiner Aufgabe nachgehen, das Publikum mit Spässen zu unterhalten. Als der Schwertschlucker, nur an seine Geliebte denkend, zuerst die kleine Blume pflückt und dann durch einen tragischen Unfall ums Leben kommt, hat der Clown nicht nur seine Liebe verloren. Die anderen Zirkusleute trachten auch nach seinem Leben, in der Annahme, er habe den Schwertschlucker auf dem Gewissen. Dem Clown gelingt die Flucht, und er trifft auf seinem Weg auf den Knochenmann, den Tod. Und dieser beweist sich als hilfreicher Gefährte auf der Suche nach der kleinen Blume. Ulf K.s "Floralia" ist eine wunderschöne Geschichte über eine besondere Liebe, die über den Tod hinausgeht. Mit viel Poesie und ganz ohne Worte erzählt.

Ulf K., "Floralia" 32 Seiten, zweifarbig, geheftet, Edition 52, Euro 7.-


Susa Flott wohnt in Block 37. Ihre Eltern sind DJs und ziemlich in Ordnung. Eigentlich lebt es sich für Susa und ihre Freunde hier ganz gut, wäre da nicht die miesepetrige Nachbarin Frau Liebstöckl. Die versucht immer wieder, Susa bei ihren Eltern anzuschwärzen und stiftet auch sonst nur Unfrieden. Als Susa eines Nachmittags im Wald ihrem Hobby, archäologischen Ausgrabungen, nachgeht, macht sie eine unglaubliche Entdeckung. Und diese Entdeckung zeigt sich im Kampf gegen Frau Liebstöckl als überaus hilfreich. Judith Zauggs knallbunte und flächige Zeichnungen machen Grazia Pergolettis Geschichte zu einem modernen Bilderbuch, das Kindern und Erwachsenen gleichermassen gefallen dürfte.

Grazia Pergoletti und Judith Zaugg, "Susa Flott", 36 Seiten, vierfarbig, gebunden, Lucha Libro Editorial, Euro 16.50 / Sfr. 25.- Bestellbar über: www.judithzaugg.ch bzw. www.dassortiment.de


Ebenfalls bei Lucha Libro Editorial erschien ein Grafikbuch der besonderen Art. In monatelanger Arbeit hat der Berner Künstler Dirk Bonsma mit 366 Linolstempeln und den Texten von Andrea Nyffeler ein bebildertes Versbüchlein hergestellt. Jede der auf 200 Exemplare limitierten Ausgaben von "Schillernder Schinken" ist ein Unikat mit Originaldruckgrafiken, da die Texte in den Ausgaben variieren und vom Künstler immer wieder anders interpretiert wurden. Leider ist die Edition schon auf Grund ihres Preises von 360.- sFr eher etwas für Sammler, aber auch für Bibliophile und ausgemachte Linolschnitt-Liebhaber.
Informationen zu "Schillernder Schinken" gibt es bei Lucha Libro

Editorial, Marzilistr. 35, CH-3005 Bern, oder luchalibro@bluemail.ch Dort ist das Buch auch direkt bestellbar.

Als 1999 die erste Ausgabe des "Continental Comic Book" von Milk and Wodka erschien, hatte es der Schweizer Kleinstverlag geschafft, ein internationales Fanzine mit zahlreichen Beiträgen aus Italien, Kroatien, Belgien und Kanada zu produzieren. Trotz ihrer umtriebiger Aktivitäten als Künstlergruppe, DJ-Team und Musical-Truppe haben nun die drei Herausgeber Roman Maeder, Remo Keller und Nicole Scherrer "Milk and Wodka 3" vorgelegt. Wie schon in den ersten beiden Bänden, tummeln sich in dieser "Jubiläumsausgabe" viele Künstler und Künstlerinnen der Underground- und Independent-Comicszene. Mit dabei sind diesmal unter anderem Teer und Nettmann aus Deutschland, Teresa C. Pestana und Isabel Calvalho aus Polen, Parantela aus Italien und Andi Rähmi und Aurel Märki aus der Schweiz.

Milk and Wodka 3, "Continental Comic Book", 140 Seiten, s/w mit dreifarbiger Siebdruck-Klappkarte, Softcover, Sfr. 15.- Bestellen kann man den Band beim Analph Comicshop oder direkt unter www.cookieluck.ch/milkandwodka

Der Wiener Falter Verlag hat mit "Geschenkt" eine neue kleinformatige Cartoonreihe veröffentlicht. Die Zeichner Rudi Klein, Nicolas Mahler, Much und Tex Rubinowitz widmeten die ersten drei Bände den wesentlichen Themen des Lebens. In "Sex ohne Würde", "Altern ohne Hose" und "Computer ohne Gnade" erfährt man alles über Low-Tech- Telefonsex, senile Bettflucht und die Tücken der Festplatten und kann sich freuen, von dem einen oder anderen Problem nicht betroffen zu sein.
Die Reihe "Geschenkt" erscheint im Falter Verlag, Wien. Bisher erschienen: "Sex ohne Würde", "Altern ohne Hose", "Computer ohne Gnade".

Jeder Band 100 Seiten, zweifarbig, gebunden, Sfr. 23.50 / Euro 13.-

OL isst gerne Königsberger Klopse und kocht sie regelmässig in seiner Berliner Stammkneipe. Jetzt hat er sogar sein neuestes Buch danach benannt. Auf 96 Seiten und im ungewöhnlich langen Querformat hat der Zeichner 90 Strips aufbereitet. Neben vielen Geschichten von "Jürgen, dem Trinker" gibt es Denkwürdiges zu sinnvollen Bundeswehreinsätzen in Kriegsgebieten, Eigenurintherapie, Couchphobie und Buchpreisbindung. Das Vorwort von Max Goldt darf natürlich nicht fehlen, ebenso wenig wie OLs Rezept für die besagten Klopse.

OL, "Königsberger Klopse", 96 Seiten, vierfarbig, Softcover im langen Querformat, Eulenspiegel Verlag, Euro 12.90/Sfr. 23.30


Pünktlich zur Fussball-WM gibt’s vom Carlsen Verlag den ersten Band von Barus Serie "Die Sputnik-Jahre", mit dem Titel "Der Elfmeter". 1957 herrscht in der französischen Kleinstadt Sainte Claire Bandenkrieg zwischen den Jugendlichen von "oben" und denen von "unten". Ein Gerangel zwischen Igor, einem von den Jungs von "oben", und Boris von "unten" gibt den Ausschlag zum erneuten Kräftemessen. Angetreten wird zuerst mit Pfeil, Bogen und Zwille, dann mit Fäusten und schliesslich, als es zu keiner Einigung kommt, soll ein Fussballspiel entscheiden, wer das Sagen in der Stadt hat. Baru erzählt seine lebhafte und spannende Jugendgeschichte aus der Sicht von Igor, der die Ereignisse mal als aussenstehender Erzähler beschreibt, dann wieder als Hauptperson mitten im Geschehen steht, und schliesslich Los über Sieg oder Niederlage in seinen Händen hält. Dass alles gut wird, verrät schon der Titel des zweiten Bandes "Ich bin der Anführer", der im August erscheinen wird.

Baru, "Die Sputnik-Jahre: Der Elfmeter", 48 Seiten, vierfarbig, gebunden.
Carlsen Verlag, Sfr. 25.30/ Euro 14.-


Ebenfalls bei Carlsen erschien "Doktor Jekyll & Mister Hyde", eine neue Adaption des berühmten Klassikers von Robert Louis Stevenson. Jerry Kramsky hat die Erzählung auf Comicformat umgeschrieben und Lorenzo Mattotti mit seinen von grell bis düster rangierenden vierfarbigen Bildern zeichnerisch interpretiert. Obwohl die Geschichte hinlänglich bekannt sein dürfte, liest sich die Umsetzung von Kramsky und Mattotti mit viel Spannung und setzt den Aspekt eines zwiespältigen menschlichen Charakters gekonnt in Szene.

Jerry Kramsky und Lorenzo Mattotti, "Doktor Jekyll & Mister Hyde", 64 Seiten, vierfarbig, gebunden, Carlsen Verlag, Euro 20.-/Sfr. 35.40

 

Vom 9. bis 14. Oktober findet die Frankfurter Buchmesse statt, zum dritten Mal mit dem Schwerpunkt-Thema Comic. Neben zahlreichen Verlagsständen, die an den beiden Publikumstagen (12. und 13.10.) auch für die Öffentlichkeit zugänglich sind, wird eine grosse Ausstellung mit Lewis Trondheims "Monströsen Geschichten" gezeigt. Mit der Werkschau "Vom Underground zum Pulitzerpreis" huldigt man der Arbeit des amerikanischen Künstlers Art Spiegelman, der bei der Eröffnung anwesend sein wird.
Die Tischplatten im Comic-Café werden von den Freibeutern, einem Zusammenschluss mehrerer deutschsprachiger Kleinst- und Selbstverleger. verschönert.
Informationen zu weiteren Veranstaltungen und das ausführliche Programm bekommt man im Laufe der nächsten Wochen auf der Homepage der Buchmesse, www.buchmesse.de.


And the Winner is...

Vom 30. Mai bis 2. Juni fand in Erlangen zum zehnten Mal der Internationale Comic-Salon statt. Wie schon in den Jahren zuvor wurde im Rahmen des Festivals der Max-und-Moritz-Preis verliehen. In diesem Jahr gab es Entscheidungen die erfreuten und manche, die überraschten. Dass die Herren von Moga Mobo den Preis für die beste Eigenproduktion erhielten, war für viele Zeichner ein Grund zur Freude. Wurde damit doch auch ihre eigene Arbeit honoriert. Peter Puck gewann nach vier oder fünf
Nominierungen nun endlich den Preis des besten deutschsprachigen Comic-Künstlers. Den Preis für die beste Import-Produktion heimste sich ein deutsches Redaktionsbüro mit Nabiel Kanans "Lost Girl" ein, obwohl diese Veröffentlichung als "Book on Demand", also Schnelldruck nach Bestellung, produziert wurde. Der Spezialpreis ging an Karl Manfred Fischer, den Kulturamtsleiter der Stadt Erlangen, der dieses Jahr sein Amt verlässt.Hier nun aber die vollständige Liste der Preisträger:

Bester internationaler Comic-Strip:
Frank Cho, "Liberty Meadows"

Bester deutschsprachiger Comic-Strip:
Martin Perscheid, "Perscheids Abgründe"

Bester deutschsprachiger Comic-Künstler:
Peter Puck

Beste deutschsprachige Comic-Publikation (Eigenproduktion):
Moga Mobo, "100 Meisterwerke der Weltliteratur"

Beste deutschsprachige Comic-Publikation (Import):
Nabiel Kanan, "Lost Girl"

Beste deutschsprachige Comic-Publikation (Sekundärliteratur):
Volker Hamann, Reddition

Beste deutschsprachige Comic-Publikation für Kinder:
Ole Könnecke, "Doktor Dodo schreibt ein Buch"

Beste deutschsprachige Comic-Publikation für Jugendliche:
Carlos Trillo / Laura Scarpa, "Wie im richtigen Leben – Herzstolpern"

Bester internationaler Szenarist:
Giroud

Spezialpreis für ein herausragendes Lebenswerk:
José Muñoz.