Die Genfer Zeichner Xavier Robel und Helge Reumann haben sich mit ihrem neuen Werk "Elvis Road" weit entfernt vom tradierten, narrativen Comicschaffen. Helge Reumann ist STRAPAZIN-Leserinnen und Lesern durch seine schwarzen, wortlosen und oft gewalttätigen Geschichten um massakrierte Holzmänner und andere eigensinnige Fantasiefiguren bekannt, ebenso durch seine bunten aber trotzdem bedrückenden Arbeiten "Poursuite" und "Rayons-X". Der reduzierte, streng grafische Stil aber lässt uns das Dargestellte auch auf einer anderen Rezeptionsebene lesen. Das Böse und Grausame in den Geschichten wird zur Paraphrase einer Welt, die vielleicht gar nicht so schlimm ist, wie sie uns alltäglich medial vorgesetzt wird. Xavier Robel, im deutschen Sprachraum weniger bekannt, begeht einen ähnlichen Weg. Auch Robels Geschichten werden von seltsamen einbeinigen und nasenlosen Gestalten bevölkert, denen Mord und Totschlag offenbar vertraut sind. Die Arbeiten von Helge Reumann und Xavier Robel stehen sich formal und inhaltlich sehr nah; kein Wunder bei der häufigen Zusammenarbeit der beiden Atelierkollegen. Letztes Produkt dieses Teamworks ist "Elvis Road", ein monumentaler Bildstreifen, ursprünglich entstanden als Unikat für den Schweizerischen Wettbewerb für Design, 2002. Um das Werk in Buchform zu bringen, wurde das Format auf ein immer noch über sieben Meter langes Leporello-Band reduziert! "Elvis Road" ist die konsequente Fortsetzung dessen, was sich in anderen Geschichten und Büchern der beiden Genfer ankündigte. "Elvis Road" ist die Fahrt durch eine rabenschwarze, monströse und gewaltgeladene Welt. Auf dieser Fahrt durch Suburbs, Industrie- und Freizeitzonen erwartet der Betrachter ständig das Erreichen eines Zentrums. Doch die Fahrt durch die "Elvis Road" ist ein Alptraum im urbanen Nirgendwo. Nichts bleibt uns erspart, weder sexuelle Perversionen noch Junk food, weder Sektenwahn noch Bigotterie, Umweltkatastrophen, Kriegstreiber, Neonazis, Ku-Klux-Klan, Disney-World und die Apokalyptischen Reiter. Eine so übervoll mit Fantasiefiguren, Monstern, Fabelwesen und Popikonen bevölkerte Welt gabs schon lange nicht mehr, doch fehlt es dem Werk nie an gestalterischer Ironie. "Elvis Road" ist ein Buch für Leute, die sich gerne in Suchbildern verlieren. Ein Buch auch, das anregt, selber Geschichten zu erfinden. Deshalb war ich auch nicht erstaunt, als mir ein Lehrerkollege sagte, er habe für seine Kinder Ausschnitte aus "Elvis Road" kopiert, zur Förderung kindlicher Rezeption und Weiterbearbeitung. Man sieht, sowohl Robels als auch Reumanns Phantasien sind durchaus jugendfrei.

Roli Fischbacher

 

Xavier Robel und Helge Reumann, "Elvis Road". 23 Seiten, Leporello, Umschlag Siebdruck, Sfr 36.- Erhältlich bei Pipifax, Ankerstrasse 20, 8004 Zürich (und einigen wenigen anderen Buchhandlungen mit extrem gutem Sortiment).

 

Was, wenn Vincent van Gogh nicht das überragende Genie gewesen wäre, als das er heute gehandelt wird, sondern ein normaler Mensch ohne besonderes Talent? Dies fragt sich der in Italien lebende jugoslawische Zeichner Gradimir Smudja in seinem Album "Vincent et Van Gogh", wobei seine Frage, glaubt man der neueren kunsthistorischen Forschung, nicht ganz unberechtigt ist, hat sie sich doch von der Legende des begabten Naturgenies verabschiedet, wie der Hamburger Kunsthistoriker Uwe M. Schneede schreibt. Statt dessen wird van Gogh heute als Autodidakt gewürdigt, der mit 27 Jahren die Malerei mühevoll erst erlernte und später erneuerte, indem er sie auf die Grundlage subjektiver Empfindungen stellte. Gradimir Smudja freilich nähert sich dem Phänomen van Gogh sehr persönlich, mit viel Schalk und ohne Scheu vor grossen Namen. Geschickt spielt er seine Erfahrung als Karikaturist und Kopist impressionistischer Malerei aus. Angeregt von den typisch van Goghschen Strichen ist es in Smudjas Version eine mystisch-kreative Katze, die des Meisters Werdegang auf den Kopf stellt. Kater Vincent personifiziert alle künstlerisch fruchtbaren, gesellschaftlich jedoch anstössigen Extreme im Charakter des Malers. Van Gogh selbst verglich seine Stellung in der Gesellschaft in Arles mit derjenigen eines verwilderten Hundes: "Ich werde ein Hund sein, ich fühle, dass die Zukunft mich wahrscheinlich hässlicher und unmanierlicher machen wird, und ich sehe eine gewisse Armut als mein Los voraus, aber ich werde Maler sein", prophezeite er seinem Bruder Theo, der in Smudjas Comic eine marginale, aber überraschende Rolle spielt. Dieser verzehrend-märtyrerhafte Zug sowie die religiöse Sehnsucht nach der "Heimat der Bilder" sind bei Smudja nur am Rande spürbar - Kater Vincent, dessen Züge etwas gar disneyesk ausfallen, gleicht mehr einem hochbegabten Jungen, der mit seinem überschäumenden Talent nicht umgehen kann. Aufs Ganze gesehen gelingt Smudja aber eine feine Hommage an van Gogh, die voll ist von Referenzen an die Kunstgeschichte - selbst Brigitte Bardot hat einen Auftritt.

Florian Meyer


Gradimir Smudja, "Vincent et van Gogh", Delcourt, 2003, Euro 14.95 / Sfr. 22.50 (Wer mehr über das Leben des Meisters wissen will, der lese: Uwe M. Schneede, "Vincent van Gogh. Leben und Werk", C.H. Beck, 2003, Euro 7.90 / Sfr. 12.-) Ein Interview von Catherine Henry mit Gradimir Smudja findet man auf www.bdparadisio.com

 

Alberto Giacomettis (1901-1966) Leidenschaft für Köpfe und Gesichter war ebenso legendär wie sein unablässiges Bemühen um die wahrhaft lebendige Darstellung der von ihm porträtierten Personen. Immer wieder überarbeitete er in Akten schöpferischer Zerstörung seine Bilder und Büsten, bis sie nicht mehr bloss die äussere Physiognomie abbildeten, sondern dem Wesen und der Erscheinung eines Menschen entsprachen, so wie er Giacometti begegnet war. Daran drohte der Künstler zu verzweifeln: "Es ist unmöglich, einen Kopf lebensgetreu zu machen", klagte er einst dem amerikanischen Schriftsteller James Lord, als dieser für ihn Modell sass, "und je mehr man sich anstrengt, ihn lebensgetreu zu machen, umso weniger lebensgetreu wird er. Aber da ein Kunstwerk sowieso eine Illusion ist, kommt man der lebensgetreuen Wirkung näher, wenn man seine illusionäre Eigenschaft steigert." Giacomettis Streben nach lebensgetreuer Wahrheit in der Kunst führte ihn soweit, dass er eine bereits verkaufte Büste vom Besitzer zurückforderte, weil sie seinem Empfinden nach noch nicht wirklich lebendig wirkte. Oder dass er einen Kopf im Bergell, seiner Heimat, vergrub, um ihn später mit neuen Augen wieder zu entdecken. Beide Anekdoten finden sich auch im grafischen Roman "Alberto G." von Philippe de Pierpont und Eric Lambé. Die beiden Belgier spitzen den Perfektionismus Giacomettis literarisch noch zu, indem sie ihren Alberto in einen permanenten Dialog mit einer vorstellungsmässig perfekten, in der Ausführung aber niemals erreichbaren Kopfskulptur treten lassen. Diese fast schon besessene Konzentration auf das eine perfekte Gesicht markiert freilich die Grenze zwischen dem realen und dem fiktiven Alberto. Die Meisterschaft von de Pierpont und Lambé besteht darin, dass sie sich nicht auf die üblichen Stilisierungen einer Heiligen-Vita einlassen, sondern die Intensität des künstlerischen Prozesses schlechthin und das Ringen des Künstlers um den wahrhaften Ausdruck ins Zentrum rücken. Namentlich die aufs Wesentliche reduzierten, durchgehend grau-blau gehaltenen Zeichnungen Lambés sowie seine rundlichen Körper und Gesichter setzen sich von den schwerelos-zerbrechlichen, aber auch würdevoll wirkenden Figuren Giacomettis ab. Und doch macht sich in jedem Zug des Lesens von "Alberto G." eine Verwandtschaft der Arbeitsweise bemerkbar - auch Lambé übermalte sämtliche seiner ersten Panelskizzen. Und die Ironie der Geschichte: An der Darstellung von Giacomettis Gesicht, sagt Lambé, sei er fast verzweifelt...

Florian Meyer


Eric Lambé und Philippe de Pierpont, "Alberto G.", Editions du Seuil / Fremok, 2003. Euro 20.-

 

In den Strassen von Neapel erzählt der Mafia-Killer einem Strassenhändler einen Traum. Die Analyse fällt kurz aus. Der Traum bedeutet Unglück, und die Prophezeiung erfüllt sich noch im selben Augenblick: Kurzerhand erschiesst der Strassenhändler den Mafioso. Als Anleitung zur effektiven Traumdeutung mag "5 ist die perfekte Zahl", das neue Werk von Igort, nur bedingt tauglich sein, als Comic-Roman jedoch überzeugt er voll und ganz. Die Geschichte handelt vom Mafia-Veteran Peppino, der am liebsten fischt, kocht und sich an die gute alte Zeit erinnert. Doch Peppino gerät durch den eingangs geschilderten Mord an seinem Sohn wieder zwischen die Fronten sich bekriegender Familien. Und die Mafia ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Igort, umtriebiger Mit-Gründer der italienischen Künstlergruppe Valvoline, später für den japanischen Mangamarkt tätig, versteht es einerseits, die Stränge dieser Mafia-Story fest in den Händen zu halten, andererseits, sie virtuos zu illustrieren. Ohne dabei aufdringlich zu wirken, variiert er die Stile und Techniken öfter als ein Berufskiller seine Tötungsarten. "5 ist die perfekte Zahl" ist damit schon fast so etwas wie ein perfekter Comic geworden, spannend, mit einer trotz allem Detailreichtum auf die Geschichte konzentrierten Bildsprache und einem überraschenden Ende jenseits aller "Godfather"-Klischees.

Tim Kongo

 

Igort, "5 ist die perfekte Zahlý, 174 Seiten Avant-Verlag, Berlin, Euro 17.95/Sfr. 26.Ð

 

Berlin als internationalen Festival- und Comicstandort zu lancieren, hat sich die Neue Gesellschaft für Literatur auf die Fahne geschrieben und lädt vom 27. bis 31. August zum zweiten Mal zum Internationalen Berliner Comicfestival ein. Um die gesamte Bandbreite des Mediums zu präsentieren, wird in der Backfabrik eine grosse Auswahl an Ausstellungen, Vorträgen, Rahmenveranstaltungen und eine Comicmesse geboten. Bereits ab 13. Juli gibt es im Martin-Gropius-Bau mit Art Spiegelmans Ausstellung "Kisses from New York" einen Einblick in seine Arbeit als Coverillustrator für das amerikanische Magazin The New Yorker. Die Hauptausstellung "Comic-Welten" beleuchtet das Comicschaffen in Japan, den USA und Europa und zeigt sowohl die länderspezifischen Besonderheiten als auch das grenzüberschreitende Zusammenspiel verschiedener Zeichenstile anhand der Arbeiten von Joost Swarte, Lewis Trondheim, Steven Appleby, Anke Feuchtenberger und anderen. Weitere Ausstellungen beschäftigen sich mit Walt Disneys Micky Maus und Donald Duck im Wandel der Zeit, und mit Kinderbuchillustrationen internationaler Comic-Künstler. Im Rahmen einer Arbeitstagung und einer öffentlichen Vortragsreihe sprechen Roger Sabin, Jaqueline Berndt, Trina Robbins, Andreas Platthaus und andere über die internationalen Besonderheiten der Comicwelt. Grossbritannien wird als Gastland des diesjährigen Festivals mit einem gesonderten Programm bedacht. Das Rahmenprogramm wird ergänzt durch Animations- und Zeichentrickfilme, Lesungen, Buchpräsentationen, Ausstellungen und Partys.

Claudia Jerusalem

Art Spiegelman, "Kisses from New York", Martin-Gropius-Bau, Berlin. 2. Internationales Berliner Comicfestival, 27.8. bis 31.8. in der Backfabrik Berlin. Ausführliche Infos: Neue Gesellschaft für Literatur, Spreeufer 5, D-10178 Berlin www.berliner-comicfestival.de

 

Mit seinem ersten Comicband ist dem Zeichner Michael Husmann eine überzeugende Adaption des altindischen Ramayana-Epos gelungen. Rama, der erstgeborene Sohn von König Dasharata, muss zu Gunsten seines Halbbruders Bharata auf den Thron verzichten und geht ins Exil, begleitet von seiner Frau Sita. Es folgt der Kampf Ramas und Sitas gegen den Dämonen Ravana, eine Schlacht um Macht und Liebe, schliesslich ein Happy End. Michael Husmann, 29 Jahre alt, lebt in Zürich. Zu "Rama" liess er sich von einem Aufenthalt im indischen Ahmedabad inspirieren, wo er nach dem Abschluss der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Luzern Animation studierte. "Rama" bezeichnet er als Verarbeitung seiner indischen Eindrücke, umgesetzt in eine europäische Welt. So ist es möglich, dass in "Rama" mit Handys telefoniert wird oder der Affengott Hanuman durch eine Umgebung springt, die laut Husmann eine Mischung aus Luzerner und Zürcher Ambiente darstellt. Indisches erscheint auf Umwegen, etwa wenn das Zürcher Museum Rietberg - das bekanntlich einen Raum mit Bildern aus dem Ramayana besitzt - als Kulisse auftaucht. Texte beschränken sich in "Rama" fast schematisch auf Onomatopöie, kurze Sätze und Gesprächsfetzen. Die Tatsache, dass Michael Husmann seit Geburt gehörlos ist, mag diesen Umgang mit Text beeinflusst haben. Die Farben in "Rama" sind satt und dicht, sie wirken aufgrund kleiner Variationen immer lebendig. Husmann erreicht dies, indem er Folien mit schwarzer Tusche bemalt und dann die Flächen freikratzt. Andere Bilder sind einmal mit Acryl auf Holz gemalt, ein andermal mit dem Computer collagiert, dann wieder erscheinen Fotos. All diese aufeinander prallenden und ineinander übergehenden Stile wirken keineswegs manieriert, sondern tragen vielmehr zur dichten Atmosphäre dieses Bands bei, der zu den schönsten Comics gehört, die hier in letzter Zeit herausgegeben worden sind.

Tim Kongo

Michael Husmann, "Rama", Arrache Coeur, 2003, 60 Seiten, Euro 18.50/Sfr. 29.80

 

Anderthalb Jahre lang haben die Berliner Atak (Zeichner) und Ahne (Texter) einmal wöchentlich tagespolitische, alltagsphilosophische und Berlin-spezifische Themen aufgegriffen und sie in der Rubrik "Unterm Strich" der Berliner Zeitung gekonnt in Bild und Wort umgesetzt. In knapp 70 vierfarbigen Strips äussern sich die beiden zu Napoleon, träumen von New York, schicken die beiden Nunktoniten Subi und Klubi in den Tierpark und sind mit den drei rüden Jungs vom Club der löchrigen Jeansjackenträger unterwegs am Hackeschen Markt. Nun ist die komplette Sammlung inklusive dreier bisher unveröffentlichter Bonus-Strips als Ringbuch im avant verlag erschienen, inklusive Kommentare der beiden Künstler sowie Zeichnungen von Ataks Tochter Olga, von Hendrik Dorgarthen, Kathi Käppel und anderen.

Claudia Jerusalem

Ahne / Atak, "Atak vs. Ahne", 144 Seiten, vierfarbig, Querformat, Ringbuch, avant verlag, Euro 19.95 / Sfr. 28.90 www.avant-verlag.de

 

Die vierte Ausgabe der grössten Trickfilmschau der Schweiz findet vom 9. bis 14. September 2003 in Baden statt. In 40 Programmblöcken werden über 300 Kurz- und Langfilme aus rund 40 Ländern zu sehen sein. Fantoche - das erste und einzige Filmfestival der Schweiz, das dem Animationsfilm seine ganze Aufmerksamkeit schenkt - ist 1995 mit der Vision angetreten, die Schweizer Kulturlandschaft mit einem Trickfilmfestival von internationaler Ausstrahlung zu bereichern. Das Festival widmet sich ganz der Innovation, der Information und dem regelmässigen Dialog zwischen KünstlerInnen und Publikum; kommerzielle Kriterien sind sekundär.

 

Programminformationen über: www.fantoche.ch