Gary Panter, 52, zeichnet seit fünfundzwanzig Jahren Comics, Illustrationen, malt grosse Bilder, macht Puppenspiele, Plattenumschläge, Trickfilme, Ausstattungen für TV-Shows und neuerdings auch Lightshows. Er ist ein ewiger Grenzgänger zwischen «High» und «Low art» und bleibt einer der experimentierfreudigsten Abenteurer in der Comic-Szene. Nach drei Jahren Arbeit hat er gerade «Jimbo in Purgatory» fertiggestellt, eine Nacherzählung von Dantes «Purgatorio».Immer von populärer zu unpopulärer Kultur hüpfend, war er nicht nur einer der wichtigsten Zeichner im legendären RAW, sondern auch Wegbereiter für die «Wilden Primitiven» der Achtzigerjahre (zusammen mit Mark Marek und Lynda Barry), er entwarf Kulissen für die us-amerikanische TV-Kindersendung «Pee-wee's Playhouse» und gestaltete Schallplattencovers für Frank Zappa, die Red Hot Chili Peppers, Oingo Boingo und Duke Ellington. Seit 1986 lebt Panter in Brooklyn, N.Y., zusammen mit seiner Frau Helene Silverman, Art Director und Designerin, und der zwölfjährigen Tochter Olive. Panters Illustrationen erschienen im New Yorker, in Time und in Rolling Stone, um nur ein paar zu nennen. Und natürlich in STRAPAZIN 41, 53 und 57.
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Du bist als Kind ganz schön oft umgezogen, wie man hört.
Bis ich fünf war, zogen wir von Mississippi rauf nach Kansas und Chicago, meist lebten wir in einem Wohnwagen. 1955 bis 58 lebten wir in Brownsville, Texas, mein Vater betrieb einen kleinen billigen Laden, wo man von Mottenkugeln bis zu Plastikdinosauriern so ziemlich alles bekam, auch Scherzartikel und diese schrägen Fünfzigerjahrecomics. Da meine Eltern eigentlich fast noch Teenager waren, fuhren wir häufig ins Drive-In-Kino, wo ich alle möglichen Monster- und Horrorfilme sah. Diese drei Jahre waren sehr prägend für mich. Dann erlitt meine Grossmutter in Oklahoma einen Nervenzusammenbruch, wir reisten mitten in der Nacht aus Brownsville ab und kehrten nie mehr zurück. Ich musste alle meine Comics zurücklassen - all die Haufen von Comics ohne Titelblätter, die mein Vater jeweils aus seinem Laden mitgebracht hatte. Wir zogen also nach Oklahoma und Ende Jahr nach Sulphur Springs im Nordosten von Texas, wo meine Eltern heute noch wohnen. Ein nettes kleines Städtchen. Ich absolvierte dort die High School, später das College in Commerce, Texas und schliesslich, 1974, ging ich nach Dallas.
All dies - der Aufbruch mitten in der Nacht, mein kleiner Hund, der vor meinen Augen an meinem Geburtstag von einem Autor überfahren wurde, mein Bruder, der zu früh geboren wurde und starb, verursachte eine Atmosphäre der Angst im Haus, nehme ich an. Vielleicht war das eine besonders verrückte Kindheit, vielleicht aber auch eine viel normalere als viele andere Kinder durchleben.
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Deine Eltern sind ja sehr religiös. Wie war das für dich, damals?
Bei uns zuhause drehte sich alles um die Kirche. Wir gingen am Sonntagmorgen, sonntagabends, mittwochabends zur Kirche, ebenso an alle Anlässe, wie z.B. Gesangsabende für Alte. Und es war eine Kirche ohne Tanz - eine richtig amerikanische Kirche. Und wie in allen diese Kirchen glaubte man auch in unserer, dass nur wir in den Himmel kommen würden und dass alle anderen Unrecht hätten. Aber alle paar Jahre gab es Abspaltungen, daher gibt es einen Haufen dieser Churches of Christ in jeder Stadt, weil sie sich ständig über irgendwelche Details zerstreiten. Ich respektiere ja jede Art von Glauben, aber meine eventuell noch verbliebenen Sympathien für die Church of Christ verschwanden endgültig, als sie sich nach dem Einsturz des World Trade Centers weigerte, zusammen mit anderen Glaubensrichtungen zu beten. Seither betrachte ich sie als eine Art Taliban. Ich hoffe nur, kein junges Mitglied der Church of Christ liest dies und folgert daraus, ich sei eine Art Satan oder so. Ich glaube nicht, dass diese Art von Religionen sehr hilfreich sind. Es war nicht lustig, das einzige Kind im Sandkasten zu sein, das seine Spielkameraden ständig bedrohte, «Du wirst zur Hölle fahren!» Cool hingegen war, 1969 als Missionar nach Belfast in Nordirland zu gehen. Da brannten Busse in den Strassen und so, kurz bevor wir ankamen. Und wir waren ja so naiv, wussten nichts über den Krieg. Das Wenige, was man mir in einem Crash-Kurs über Irland beigebracht hatte, war aus der Sicht der Church of Christ. Die Welt hatte sich der Bibel anzupassen, etwelche sich daraus ergebenden Widersprüche existierten nicht.
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Hattest du keine Probleme mit deinen religiösen Eltern?
Doch, und obwohl ich meine Eltern immer noch sehr liebe, gab es damals natürlich grosse Konflikte. In meiner Zeit an der Junior High School bekam ich Magengeschwüre, denn ich war nicht auf den Kopf gefallen, ich stellte Fragen und wollte immer wissen, was hinter den Sachen steckt. Aber diese Priestertypen antworteten bloss mit Gleichnissen.
Heute kennen meine Eltern dank dem Internet meine Arbeiten. Sie sind immer noch besorgt, dass meine Seele Schaden nehmen könnte, und sie verstehen nicht, wie ich vom richtigen Glauben abfallen konnte.
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Wie bist du zur Kunst gekommen?
Mein Vater betätigte sich immer auch als Maler, auch heute malt er noch Cowboys und Indianer, die gerade einer Klapperschlange den Kopf abschlagen oder so. Sehr stilvoll, sehr cartoonhaft. Als Kind wusste ich, dass ich seine Aufmerksamkeit erregen konnte, indem ich zeichnete. Ich war von Dinosauriern fasziniert, ging in die Bibliothek und besorgte mir dort Bücher wie Burians «Prehistoric Animals», Arthur Conan Doyles «The Lost World» und so. Ich lag meiner Mutter ständig in den Ohren, mir Time-Life-Bücher zu kaufen oder das grosse Dalì-Buch, ganz in Goldfolie gebunden. Und irgendwie beschaffte sie mir alle diese Bücher. In der fünften Klasse lernte ich, mit Ölfarben zu malen, später fuhr ich total auf Batik ab. Ich hantierte mit soviel heissem Wachs und literweise Naphtalin, um das Wachs wieder zu entfernen, dass ich mich heute noch wundere, weshalb damals nicht die ganze Schule an Krebs erkrankte.
An der East Texas State University gabs eine ausgezeichnetes Kunstfakultät. Tolle Künstler kamen von weit her nach Commerce, dieser Kleinstadt inmitten von nirgendwo, um uns zu unterrichten. Sehr schnell entdeckte man meine Begabung für das Zeichnen und Malen, sodass ich privilegiert behandelt und unterrichtet wurde. Es waren himmlische Zustände! Die jungen Lehrer brachten mir Künstler näher wie Frank Zappa, Edgar Varèse, Marshall McLuhan und Buckminster Fuller. Und da gabs meine psychedelischen Hippie-Cowboy-Brothers, mit denen ich allerlei Unsinn machte, wie z.B. tote Wölfe an Türen nageln, Ahornsirup auf Autositze kippen, oder Windschutzscheiben mit Farbe besprayen...
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Deine Karriere war eher kurvenreich, eine dieser Kurven war dein Abstecher in die Punkszene von Los Angeles.
Ja, da ging ich eines Tages durch L.A. und sah an einem Kiosk das Slash-Magazine. Ich dachte, wow, genau so etwas würde ich auch gerne machen! Hoffentlich sind die Kerls, die das herausgeben, keine Nazis! Ein Freund von mir machte mich mit den Typen bekannt, und siehe da, es waren keine Nazis sondern interessante Künstler. Einige meiner Jimbo-Geschichten erschienen in Slash, aber nicht der Jimbo mit Haartolle. Ich schnitt ihm die Haare etwas kürzer...
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Hast du auch sonst in der Punkszene verkehrt?
Ich ging schon an das eine oder andere Konzert, aber letztlich bin ich ein zu grosser Stubenhocker. Eine der besten Shows jedenfalls erlebte ich im Olympic Auditorium, mit Auftritten von Matt Groening, Black Flag, den Butthole Surfers. Natürlich kannte ich einen Haufen Leute aus der Szene, oft Künstler, die meisten mit einem ausgeprägten Sinn für Humor. Aber eben, am liebsten sass ich damals schon zuhause und zeichnete. Ich illustrierte, machte Album-Covers, zum Beispiel für Bootleg-Alben von Frank Zappa, dann auch einmal ein Titelblatt fürs Time-Magazine, davon konnte ich gerade knapp leben. In L.A. hat man ja keine grossen Heizkosten!
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Wann bist du nach New York gezogen?
1986, glaube ich. New York war anfangs furchteinflössend, denn ich bin eher ein Angsthase. Eines Abends wurde ich überfallen, weil ich wohl in die falsche U-bahn gestiegen war. Die drei Typen hatten Knarren in den Händen und riefen ständig «Shoot him, shoot him!» Aber meistens gefällt es mir in New York, man kann einen Haufen Dinge sehen oder es eben bleiben lassen. Für mich, der aus Sulphur Springs bzw. aus L.A. kommt, ist New York aber immer noch extrem überwältigend. Und immer noch sitze ich am liebsten in meinem Zimmer und zeichne, auch wenn mich meine Frau gerne öfters zu Konzerten und in Restaurants mitschleppen würde.
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Wie hast du die Leute um RAW kennengelernt?
Art Spiegelman und seine Frau Françoise Mouly stiessen 1977 auf eine Ausgabe von Jimbo, daraufhin kontaktierten sie mich und fragten, ob ich etwas für RAW zeichnen würde. Sie lobten und ermutigten mich, meinem eigenen Stil zu trauen. Art half mir sehr, mehr Kontinuität in meine Geschichten zu bringen, etwas, worauf ich vorher nicht geachtet hatte. Bei RAW lernte ich auch einige meiner Vorbilder kennen; und einige der RAW-Zeichner, z.B. Charles Burns und Kaz sind Freunde geworden, die ich regelmässig treffe. Es ist schade, sieht man kaum mehr Sachen von früheren RAW-Zeichnern, wie etwa Mark Beyer. Es ist wohl so, dass man vom Comicszeichnen einfach nicht leben kann. Zwar ist es persönlich befriedigend, und man lernt nette Leute kennen, aber finanziell lebt man immer am Abgrund, der Aufwand ist riesig, der Lohn immer klein. Man sollte gleichzeitig Künstler und ein guter Verkäufer sein, aber wer ist das schon?
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Deine Arbeiten in RAW wirkten um einiges verstörender als andere, die ich früher von dir gesehen hatte.
Alle meine Arbeiten waren doch immer apokalyptisch. Vielleicht kommt das von meiner religiös-fundamentalistischen Kindheit, wo man mir ständig erzählte, wie alle unsere Nachbarn einst in der Hölle schmoren würden, nur unsere Familie nicht. Und ich vielleicht auch, wenn ich sündigen würde. Ich war tief im Christentum drin, in einer Welt, wo über nichts anderes gesprochen wurde. Es erforderte einen Haufen Mut oder Dummheit oder Willenskraft, da herauszukommen. Daher geht es in meinen Arbeiten oft um Enttäuschungen, Katastrophen, um soziale oder geschichtliche Themen. Wir sind ja immer noch primitive Wesen, wir sind noch voll im Mittelalter. Ausserirdische landen nur deshalb nicht bei uns, weil wir immer noch Tiere essen und uns gegenseitig abschlachten. Ich jedenfalls würde nicht auf der Erde landen wollen.
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Erzählst du uns etwas über die Dal-Tokyo-Geschichten?
Dal Tokyo basiert eigentlich auf einem Gedicht eines Freundes, der sich ausmalte, was geschehen würde, wenn plötzlich
alle Menschen, die zu allen Zeiten je gelebt haben, auf dem Hauptplatz von Sulphur Springs zusammenkommen würden. Zu dieser Turmbau-zu-Babel-Geschichte hinzu kam meine Faszination für Japan, entstanden aus alten japanischen Horrorfilmen. Dal Tokyo ist eigentlich eine Art surrealistisches Gedicht, ein Sandkastenspiel mit von mir erfundenen Figuren. Die Dekonstruktion des Comic. Ein Spiel mit dem Vokabular der Comics.
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Und wie entstand die Figur des Jimbo?
Jimbo ist ein ein Zuschauer, eine Mischung aus mir selbst, meinem Bruder und verschiedenen meiner früheren Schulfreunde. Er gleicht Popeye, er ist sehr kräftig, eigentlich unzerstörbar. Er ist naiv, gedankenlos, aber hin und wieder sagt er doch etwas Gescheites. In meiner «Purgatory»- Geschichte, angelehnt an Dantes «Inferno» in der «Göttlichen Komödie», nimmt er den Standpunkt Dantes ein, den des passiven Beobachters.
Ich lese ja unheimlich gerne Klassiker, die Bibel, Thomas Pynchon, William S. Burroughs, Voltaire. Interessante, vergnügliche und auch satirische Bücher, die ich erst in den letzten zehn Jahren zu lesen begonnen habe.
«Purgatory» entstand, während ich James Joyce las. Und so wie es bei ihm dieses Thema des langsam reifenden Embryos gibt, plante ich meine Comic-Serie: Zu Beginn ganz simpel und einfach, dann immer vielschichtiger werdend. (Er seufzt). Manchmal frage ich mich, wie ich in diese Sache reingerutscht bin. Vielleicht durch all die Fussnoten in Joyces Büchern. Als ich Joyce las und sah, wie seine Bücher alle miteinander verwoben sind und schliesslich in «Finnegan's Wake» explodieren.
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Du machst ja auch Lightshows, wie muss man sich das vorstellen?
Eines meiner Vorbilder, Joshua White, der schon in den Sechzigern Lightshows im berühmten Fillmore East machte, kam mich einmal besuchen, sah meine bescheidene Lightshow und schlug mir vor, mit ihm zusammenzuarbeiten. Dabei handelt es sich nicht um diese Art von Lightshows mit Flüssigkeiten, die man unter dem Overhead-Projektor Blasen werfen lässt. Es geht um alle Arten von Licht - um zeichnen mit Licht. Ich mache manchmal Schablonen und projiziere Licht hindurch. Aber es ist nie figurativ, immer abstrakt. Dazu kommen sechs bis acht Tonbandgeräte, die gleichzeitig Geräusche abspielen, Töne von «Noise-Bands», psychedelisches Zeug, manchmal auch live gespielt. Meistens arbeite ich mit Rückprojektionen auf kleine Projektionsflächen, ideal sind dafür Räume für etwa dreissig Personen. Ich bin hinter der Leinwand und mache dort einfache, wirklich simple Dinge, wie zum Beispiel Taschenlampen auf Kristalle richten, Reflexionen hervorrufen. Ich versuche, die Musik zu interpretieren, Tagträume zu evozieren. Nach ein paar Minuten beginnt jeder im Publikum, seinen eigenen Film zu sehen. Diese Art von gegenseitiger Befruchtung der verschiedenen Künste, wie sie auch in RAW stattfand, hat mich schon immer interessiert.

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Ich habe einige Deiner Skizzen gesehen, die du am 11. September 2001 auf dem Dach deines Hauses gezeichnet hast.
Wie hast du diesem Tag erlebt?
Ich sass in meinem Atelier in Williamsburg, Brooklyn, als mich meine Frau anrief und sagte, ein Flugzeug sei soeben ins World Trade Center geknallt. Was ich dann vom Dach aus sah, war schrecklich. Es wurde mir schnell zuviel, also ging ich wieder rein, da rief meine Frau wieder an und teilte mir mit, ein zweites Flugzeug sei ins andere Hochhaus geflogen. Ich liess das Telefon fallen und rannte wieder aufs Dach, gerade als die Towers einstürzten.
Ich musste noch das ganze folgende Jahr immer wieder weinen, wenn ich daran dachte.
In meiner Arbeit habe ich häufig in die Pforten der Hölle geschaut, weil ich hineinschauen wollte oder auch, weil ich Angst davor hatte. Jedenfalls erschien mir dieses riesige Loch in der Fassade des zuerst getroffenen Hochhauses wie der Schlund der Hölle. Es war das Schlimmste, das ich je gesehen habe. Wir Zeichner und vergiftete TV-Gucker verfügen über genügend Imagination, uns vorzustellen, was an seinem solchen Ort in diesem Augenblick geschieht.
Oft dachte ich, als nächstes würden alle anderen Wolkenkratzer der Stadt in die Luft fliegen, gesprengt von Hausmeistern, die nach und nach in ihren Lunchpaketen Sprengstoff mitnehmen und diesen dann zur Explosion bringen.Was zum Glück nicht passiert ist. Aber ich bin immer wieder überrascht, wie wenig Angst die meisten Leute haben, wie schnell alles wieder seinen normalen Lauf nimmt. Ich aber warte auf den nächsten Schlag...
Immer noch erwarte ich, dass etwas Schreckliches passiert, denn es ist doch offensichtlich, dass uns jemand an den Kragen will, und die Typen, die es verhindern sollten, sind bloss eine Bande von Dummköpfen. Wenn ich Saddam Hussein wäre oder sonst einer dieser Schurken, würde ich ein paar kleine Atombomben in ein paar amerikanische Städte schmuggeln und dort explodieren lassen. Wie in einem Hollywood-Film: Gib auf! Nein! Und du lässt eine weitere Stadt in die Luft fliegen, bis Amerika aufgibt und du auf deinem arabischen Pony durch die Strassen reiten kannst, das Schwert in der Hand... Ich tue aber so, als könne nichts passieren und arbeite weiter an meiner Karriere und überlege mir, welche Art von Buch ich als nächstes machen werde. Ich mag gar nicht mehr an all den Horror denken, sonst krieg ich wieder Angst und muss Art Spiegelman anrufen, denn ich weiss, auch ihm macht dies alles Angst.

John Kellys Interview mit Gary Panter, hier stark gekürzt wiedergegeben, entstand im Dezember 2002. Der Erstabdruck erschien im
Comics Journal Nr. 250, Februar 2003.
Übersetzung: Christoph Schuler. © Comics Journal / John Kelly, 2003