Das war's dann wohl. Tschüss!

Die NZZ schreibt, Christian Gasser vereine den Liebhaber mit dem Experten, denn einerseits sei er ein Comic-Fan geblieben, anderseits wisse keiner sonst so Bescheid wie er. Nun, STRAPAZIN-Leser wissen das schon lange. Und kommen hier in den Genuss einer exklusiven Leseprobe aus Christian Gassers neuem Buch „Blam! Blam! Und du bist tot!“, das im Herbst erscheint. Gasser erzählt darin über das Leben als Comic-Aficionado und von anderen Superhelden – und lässt sich auch ohne Vor- oder Hintergrundwissen lesen.

„Und nicht zuletzt bedanke ich mich bei Claudia…“ Eine geschickte Kunstpause, das Publikum hängt an meinen Lippen. Verwundert. Gespannt. Mucks-mäus-chen-still. Die Anwesenden kennen Claudia – wer, rhetorisch gefragt, kann es sich erlauben, ‚Das war’s dann wohl. Tschüss!‘ nicht gelesen zu haben?! – und dass ich mich ausgerechnet bei ihr bedanke, meiner herzlosen, grausamen, niederträchtigen, fiesen Ex, sorgt für Verblüffung.

„Schliesslich hat Claudia“, löse ich, meine Worte mit einem theatralischen Seufzer unterstreichend, die Spannung, „mindestens ebenso viel wie meine Eltern“ – elegant, dieser parodistische Seitenhieb auf oscarselige Hollywoodstars – „dazu beigetragen, dass ich heute den Preis für den besten Comic des Jahres entgegen nehmen kann. D.A.N.K.E., Claudia!“

Im ehrwürdigen Theater ist es, ich habe es nicht anders erwartet, ein paar Sekunden lang still. To-ten-still. Dann erklingt der erste Gluckser in der Mitte des Saals, zwei Hände hinten links klatschen einsam aufeinander, dann zwei weitere Hände rechts auf dem ersten Balkon, mehr glucksende Lacher, ein drittes Händepaar vorne in der Mitte gesellt sich dazu, zaghaft erst, dann immer überzeugter, und – R.U.M.M.S. – stürmischer Applaus und begeistertes Gelächter brechen über mich zusammen, und während das Publikum mich mit einer Standing Ovation feiert – fre-ne-tisch! –, winke ich ihm kurz mit meinem Preis, dem berühmten Max-und-Moritz-Brotlaib, zu und verziehe mich hinter die Bühne.

„Wenn du mal bei uns was veröffentlichen willst – jederzeit!“ Träum ruhig, du Heuchler. Dein mickriges Magazin kannst du dir sonstwohin stecken! Jahrelang hast du meinen Kram verschmäht, und nun schmeisst du dich an mich wie eine … eine Schmeissfliege, ja genau, eine Schmeissfliege. Ich grinse ihn jedoch bloss an und nicke unverbindlich. Warum soll ich mir meinen Triumph durch solche Nichtigkeiten vergällen lassen.

Die Party nach der Preisverleihung ist ko-los-sal. Meine Schultern schmerzen vom ständigen Schulterklopfen. Ich bemühe mich um eine coole Miene, als liesse mich der Rummel um meine Wenigkeit kalt, doch kann ich mir von Zeit zu Zeit ein zufriedenes Grinsen nicht verkneifen. Es ist einfach herrlich, wie Leute, die mich zuvor hartnäckig ignorierten, sich in meine Nähe drängen. Selbst die sonst so kühle Wiebke schenkt mir nun ihr kostbares Lächeln. Bewunderung, Respekt, Liebe und – Neid, oh ja, ich spüre die neiderfüllten Blicke der Altstars. Radler und Schumacher, ihr arroganten Säcke, eure Zeit ist abgelaufen, S.O.R.R.Y.! Die Zukunft gehört mir, der, wie drückte es die Jury so treffend aus, grössten Hoffnung der internationalen Comic- Szene, ein originäres Naturtalent im Erzählen von Geschichten in Bildern, das der neunten Kunst neue Perspektiven erschliesst und um ungeahnte Ausdrucksmöglichkeiten erweitert. Schön verschwurbelt, wie es sich für eine anständige Laudatio gehört. Ich werde mir den Text besorgen müssen. Einrahmen und meinen Eltern schenken. Und meinen Dozenten natürlich. Damit sie sehen, dass trotz der Strichmännchen was Rechtes aus mir geworden ist. Ein S.T.A.R.

„Am Stand der Edition Futura signiert Matt sein Album ‚Das war’s dann wohl. Tschüss!‘, ausgezeichnet mit dem Max-und-Moritz- Preis für den besten Comic des Jahres.“ Süss klingt das. Mein Name aus hundert scheppernden Lautsprechern. Nochmals bitte. „Am Stand der Edition Futura signiert Matt sein Album ‚Das war’s dann wohl. Tschüss!‘, den besten Comic-Roman aller Zeiten.“ Nee, das ist nun doch vermutlich ein klein bisschen zu dick aufgetragen. „Und nun, meine Damen und Herren, verehrte Gäste des Comic- Salons, haben wir die Ehre, Ihnen die Signierstunde der grössten Comic-Hoffnung seiner Generation anzukündigen: Matt !!! Am Stand der Edition Futura signiert er sein Meisterwerk: ‚Das war’s dann wohl. Tschüss!‘“ So gefällt‘s mir. D.A.N.K.E. „Du bist zu spät, Matthias“, wirft mir Alex vor. „Das gehört sich so“, entgegne ich, ob er denn noch nie von der Vierstelstunde der Stars gehört habe. Zwanzig oder dreissig Fans warten bereits; nun heisst es signieren, signieren, si-gni-e-ren, bis der Arm abfällt. „Am Stand der Edition Futura signiert Matt sein Meisterwerk …“ Schon gut, danke. Die Kollegen links und rechts – gestern hip, heute hoppla und tschüss – kritzeln krampfhaft ihre Skizzenbücher voll, als gäb‘s für sie nichts Wichtigeres. Innerlich aber, ich weiss es, ich erinnere mich nur zu gut an das Gefühl, innerlich leiden sie wie schwitzende Schweine und flehen um einen Fan, bitte, einen F.A.N. Eine Originalzeichnung für einen Fan! Zu spät, Jungs, nun bin ich da, und ich signiere und signiere. „Wegen der grossen Nachfrage musste ich die Medienkonferenz im grossen Saal anberaumen.“ O.K. Ich nicke. Alex strahlt. Die Comics gehen weg wie warme Semmeln. Hoffentlich hat er genügend Bücher mitgebracht – das Gegenteil würde gut zu ihm passen. „Zuvor, um 13 Uhr, hast du das Interview mit der Lokalzeitung.“ Als könnte ich diesen Termin vergessen! Blond, zierlich und geschmückt mit der süssesten Stupsnase diesseits der Wolga; mit ihr – wie heisst sie noch gleich? – habe ich mich an der Party bestens unterhalten. Auf ihre Fragen bin ich mal gespannt. „Signiert Matt – signiert Matt – signiert Matt – signiert …“ Die Schlange wird nicht kürzer. „Du kannst dir kaum vorstellen, wie mir dein Comic aus dem Herzen gesprochen hat.“ Das sagen viele. Oder: „So präzise wie Sie hat noch niemand die Schmerzen einer Trennung auf den Punkt gebracht.“ Oder: „Genau so war’s, ich habe geheult, als ich „Tschüss!“ las.“ Nicht nur Männer erkennen sich in meiner Geschichte wieder – auch Frauen. Viele Frauen. Ein Meisterwerk ist eben universal, denke ich, doch ich nicke verlegen, als wäre mir soviel Lob unangenehm. Um die Widmung noch persönlicher zu machen, frage ich: „Wie hiess deine Claudia?“ oder „Wie war sein Name?“ Die Beziehung zum Fan ist wichtig. Das weiss ich aus der Zeit, wo ich noch auf der anderen Seite stand. Trotz des Erfolgs nahbar wirken, be-schei-den. Abheben ist streng, Überheblichkeit strengstens verboten. „… signiert sein Meisterwerk …“

Das Meisterwerk. Mein Meis-ter-werk. ‚Das war’s dann wohl. Tschüss!‘ 252 Seiten. Schwarzweiss. Hier steckt es. Im Kopiergerät. Eine topmoderne Maschine, Laserkopien von höchster Qualität. Und me-ga-su-per-ra-send-schne-ll. Originalseite um Originalseite wird durch den Einzug auf die Glasfläche gerissen, belichtet, ausgespuckt – auf der anderen Seite legen sich die Kopien ordentlich auf zehn Stapel.

„Vielleicht hätte ich früher aufmerksam werden sollen,“ erwidere ich auf die Frage der kessen Stupsnase, ob es denn möglich sei, einen Menschen zu lieben, der die falschen Comics liest. Mit dieser Frage habe ich gerechnet – sie wird noch oft gestellt werden. „Spätestens als ich in ihrer Wohnung die komplette ‚Sailor Moon‘-Sammlung inklusive aller Animes herumstehen sah. Und allerspätestens ein paar Tage oder besser“, ich zwinkere ihr zu, „Nächte später, die expliziten Details können Ihre Leserinnen und Leser im Comic selber nachlesen, als sie mich auf ihre ‚Hello Kitty‘-Bettwäsche schubste.“ Sie schmunzelt. Sie kann sich das bildlich vorstellen. „Ich Corto Maltese, du Sailor Moon, das konnte einfach nicht gut gehen …“ Mein Stil, fährt die Volontärin der Lokalzeitung fort, sei skizzenhaft, unmittelbar. „Das siehst du genau richtig“, unauffällig und charmant gehe ich zum Duzen über und würdige ihr Verständnis für mein Schaffen, das mögen Journalisten. „Ein flüchtiger Strich, fand ich, drückt meine Gefühle unmittelbarer aus als ein elaborierter Stil.“ Ich muss den Leuten ja nicht unter die Nase reiben, dass ich nicht besser zeichnen kann. „Ausserdem musste ich diese Geschichte schnell runterzeichnen. Zuviel Nachdenken und Analysieren hätten den Schaffensprozess behindert – es wäre schlicht zu schmerzhaft gewesen.“ Sie nickt teilnahmsvoll. Einfühlsam. Sie will, dass ich verstehe, dass sie versteht. Ich verstehe sehr gut. Ich werde sie um ihre Emailadresse bitten. Oder mich gleich mit ihr verabreden? „Das erste Interview ist wie der erste Sex“, lasse ich am Schluss des Gesprächs fallen, beiläufig. „Man wird es nie vergessen …“ Sie errötet. Wie süss! „Ich hoffe“, entgegnet sie dann, „dein erstes Interview war befriedigender.“ Schüchtern, aber schlagfertig, das Stupsnäschen. Sie reicht mir ihre Karte.

„Schmerzhaft eindringlich und grausam komisch!“, urteilt die Presse. „Wie Robert Crumb ohne LSD.“ „Genial!“ „Eine Kreuzung aus Hergé, Pedro Almodovar, Haruki Murakami und Chris Ware multipliziert mit Ralf König und Carl Barks!“, „Die Generation Tschüss klagt an!“,“Kolossal!“, „Von erschütternder Aufrichtigkeit“ „Das Psychogramm der Generation Tschüss“. Ich sei der Art Spiegelman des Privaten, behauptet der Spiegel. Ich schildere das Beziehungsdrama an sich als persönlichen Holocaust. In der von der Neuen Zürcher Zeitung losgetretenen Debatte um ‚Das war’s dann wohl. Tschüss!‘ streiten sich kluge Köpfe, ob ich ein Vertreter der „Generation Zynismus“ sei oder die „Tschüss-Attitüde“ im Gegenteil für eine „neue Sensibilität“ steht. Einig sind sich alle in der Einschätzung meines Meisterwerks als Jahrzehntroman und meines Erfolgs als gesellschaftliches Phänomen. Fremdwörter häufen sich in ihren langen Sätzen, ich verstehe nur die Hälfte – grundsätzlich bin ich aber einverstanden.

„Soeben hatte ich Jerry von Supragraphics am Draht!“ Alexs Stimme auf meinem Anrufbeantworter, ganz aufgeregt. „Er will ‚Tschüss!‘ in den USA machen. Art Spiegelman und Chris Ware schreiben gemeinsam das Vorwort.“ Alexs kriselnder Verlag ist saniert. Dank meines Meisterwerks. Die sechste Auflage ist im Druck, um die Taschenbuch-Rechte liefern sich Suhrkamp und Heyne ein er-bar-mungs-lo-ses Duell der Vorschüsse, und diese Woche habe ich den Sprung in die Spiegel-Bestseller geschafft. „Auch die Verträge mit Frankreich, Spanien, Brasilien, Italien und Finnland sind unter Dach und Fach.“

Mein Meisterwerk. Seite um Seite um Seite rast durch den Kopierer. Ich werfe einen Blick auf das Titelbild. Soll ich es umzeichnen? Wäre es nicht passender, die grausam lächelnde Claudia in den Hintergrund zu schieben und dafür mich, gebrochen auf dem Boden liegend, im Mittelpunkt zu zeigen? Und die Szene mit einem schwarzen Rahmen zu versehen? – Solche Details werde ich mit meinem künftigen Verleger, am liebsten Alex von der Edition Futura, besprechen. Ist das Buch endlich auf dem Markt, ist mir der Erfolg sicher. Und Claudia? – Sie wird früh genug vom Meisterwerk erfahren.

„Was würden Sie tun, wenn Claudia plötzlich vor Ihrer Haustüre stände?“ Die Interviews häufen sich, und dies ist eine Standardfrage. Vor allem der Journalistinnen. Meine Erfahrung beweist, dass Frauen die klügeren Fragen stellen, ihre Fragen sind persönlicher und zielen auf das Wesentliche. „Gar nichts“, versetze ich jeweils kühl. „Ich lebe in einem Viertel, in dem man die Türe besser verriegelt lässt.“ Nicht alle erfassen die Ironie.

Interviews, Pressekonferenzen, Podiumsgespräche, Signierstunden. „Andere verschwenden ihr Geld beim Psychiater; ich mache mit meiner Therapie einen Haufen Kohle“, sage ich. Und: „Das Leben schreibt die besten Geschichten. Warum etwas erfinden?“ Ich verstreue in meinen Interviews grosszügig zitierfähige Bonmots. „Das Ich ist eine Fiktion.“ Das habe ich aus einer Rezension in einem Literaturmagazin. Klingt gut, was auch immer es bedeutet. In-tell-ek-tu-ell. Ich erkläre dem breiten Publikum, dass Comics nicht nur Asterix, Supermann und Manga sind.

„Die üblichen CoCoShoJo“, sage ich. „Die was? Coco … Cocoschoscho?“ Keine Fernsehsendung, die mich nicht einlädt. Kulturmagazine am späten Abend, Talkshows in der Primetime, Unterhaltungskisten am Samstag, Erotikmagazine oder, wie jetzt eben, eine beliebte Show für junge Menschen. „Hattest du etwas mit Schokolade zu tun?“ Die Moderatorin ist eine wandelnde Verwirrbombe, eine Durcheinanderbringgeheimwaffe, ein dreidimensionaler Konzentrationssabotageakt – eine schwarze Lockenmähne über einem sinnlichen Lippenpaar, das auf einem Model-Körper thront, der weit oben in Beine übergeht, die dank des knallengen Minirocks noch länger wirken als sie sind. E.N.D.L.O.S. Ich schlucke leer, schnappe nach Luft. Dann: „Nein“, lache ich, „ich kann zwar süsser Milchschokolade nie widerstehen“ – ihre Haut hat die Farbe heller Schokolade – „aber ich jobbte nicht in einem Schokoladen, sondern in einem Comicund in einem Copy-Shop. Die klassischen CoCoShoJo eines jeden Comic-Zeichners, der etwas auf sich hält …“ Das Studiopublikum lacht. Die Redakteurinnen und Redakteure, die am Rand der Bühne vor ihren Bildschirmen sitzen und das Netz nach angeblich mitteilenswerten Informationen durchsuchen, blicken amüsiert auf. „Du bist ja gar nicht so nerdy und miesepetrig, wie Claudia es Dir immer vorhielt“, sagt sie, und ihre Zähne blitzen neckisch im Licht der Scheinwerfer. „Beziehungsunfähig, sagte sie auch, bindungsunwillig, verantwortungslos …“

„… unreif“, vervollständige ich die Liste, „schlecht im Bett …“ – und ich entkräfte Claudias Vorwürfe, vor allem den letzten, mit dem unverschämten Grinsen, das zu meinem Markenzeichen geworden ist. Einen Moment lang vergessen wir die Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer, hier geht‘s um uns zwei, B.A.B.Y. „Wie hat …“ – sie schlägt die Augen nieder, offenbar übt mein Grinsen auf sie eine ähnliche Wirkung wie ihre Beine auf mich – „wie hat Claudia auf den Comic reagiert?“ Claudia, immer die Fragen nach Claudia. „Welche Claudia?“ Erneut gepunktet, das Studiopublikum tobt... „Spass beiseite. Claudia ist mir zweifellos dankbar.“ Fragende Mienen. „Schliesslich habe ich ihr mit diesem Comic Unsterblichkeit geschenkt.“

Die Ereignisse überstürzen sich, der Rubel rollt, ich komme kaum noch zum Arbeiten, bei meinem täglichen Bad im Goldspeicher lass ich die Goldstücke auf meinen Kopf prasseln, während meine Assistenten Radler und Schumacher meine Ideen und Scribbles für den Tagesstrip, der gleichzeitig in der FAZ und der Süddeutschen Zeitung erscheint, umsetzen. Das Schauspielhaus Hamburg will ‚Tschüss‘ auf die Bühne bringen, die Rede ist auch von einem Musical in London. Der auf eine Million Exemplare limitierte ‚Tschüss!‘-Pod ist im Nu ausverkauft. „T-Shirts, Baseball-Mützen, Handyhüllen und Turnschuhe“, zählt der Inhaber einer hippen Boutique für Klamotten und Accessoires aus der Hauptstadt auf, „das grösste Potenzial sehen wir jedoch in dieser ‚Tschüss!‘-Citybag-Linie. Die Materialien, naturfarbene Jute und transparenter Kunststoff, versinnbildlichen dank der Fusion von Authentischem und Artifiziellem die Aufrichtigkeit und die Offenheit der ‚Tschüss!‘-Attitüde.“

„Was würden Sie tun, wenn Claudia plötzlich vor Ihrer Wohnung stände?“ „Gar nichts“, entgegne ich kühl. „Ich würde ihr höchstens etwas sagen.“ „Was würden Sie Claudia sagen?“ Es fehlen nur noch die ‚Tschüss‘-Senfgläser. Wie die ‚Lucky Luke‘-Senfgläser, die ich als Kind sammelte. Die Gläser waren zwar von schlechter Qualität, sie zerbrachen leicht, aber ich behandelte sie so vorsichtig, dass ich bis heute ein paar … Papierstau im Kopierer.

Ich öffne die Maschine, hebe die Gummiwalze an und zerre das zerknitterte Papier heraus.

‚Tschüss‘-Senfgläser? Wie komme ich bloss auf diese Idee? Bin ich doof oder was? Senfgläser, ausgerechnet! Das ist doch kindisch. Eine Senfidee. Gar nicht K.U.H.L. Wer führt schon in seiner aufrichtig-artifiziellen Citybag ein Senfglas spazieren!

Das noch nicht fixierte Tintenpulver verschmiert meine Finger.

„Claudia steht vor Ihrer Türe.“

Das Papier zerreisst.

„Das war’s dann wohl. Auf Nimmerwiedersehen. Das würde ich
Claudia sagen“, erwidere ich.
Die Maschine zerreisst das Papier wie Claudia mein Herz zerrissen hat, denke ich, und ich drehe an den Walzen, bis sie auch das letzte Fitzelchen freigegeben haben. Warum gibst du mein gebrochenes Herz nicht frei, Claudia?

Die Szene ist hochgradig symbolisch, die Symbolik sehr offensichtlich, geradezu platt, ein bisschen kitschig sogar, und natürlich sieht Claudia besser aus als der unförmige Kasten aus Metall, Kunststoff, Gummi und Glas – möchte ich wirklich mit der Kopiermaschine ins Bett? Ich versuche, das Pathos des Moments ironisch zu brechen, denn ich weiss, ich bin lächerlich, wie ich mit den zerrissenen Kopien dieses Meisterwerks in der Hand vor der protestierenden Maschine stehe und spüre, wie die Tränen sich in meinen Augen sammeln.

„Danke, Claudia, danke für deine Grausamkeit, das würde ich ihr sagen,“ erwidere ich eiskalt und sarkastisch.

Ich frage mich, ob ich diesen Moment nicht zum Epilog meiner Leidensgeschichte verarbeiten sollte. Der nachtragende Geist Claudias, der mich bis in den Copyshop verfolgt und die Vervielfältigung unseres Beziehungsdramas sabotiert. Nein, entgegne ich mir selber, als ich die Walzen wieder runterkippe und den Kopierer schliesse, nein, in meinem Meisterwerk will ich mit Claudia abrechnen, ich rechne mit den Frauen ab und mit der Liebe, ich bin zwar gebrochen und einsam, aber ich bleibe hart und bin trotz allem K.U.H.L., und da kann ich unmöglich zeigen, wie ich einen unförmigen Kopierer anheule, weil ich ihn für Claudia halte.

„Na? Ein technisches Problem?“ Claudias Stimme. Unverkennbar. Warm und leicht spöttisch. Unwi der-steh-lich. Sie ist zurück im Laden. Früher als erwartet.

„Sind meine Kopien bereit?“

Ohne mich umzublicken, schüttle ich den Kopf.

Die Aufwärmphase ist vorbei. Ich schlage auf die grüne Starttaste; der Kopierer läuft wieder, gehorsam und fleissig, er spuckt Seite um Seite des Comics aus.

„Claudia klingelt an deiner Wohnungstüre. Was tust du?“ „Ist das eine Fangfrage?“ „Claudia kommt in den Copyshop …“ „Ein Test? Wieviele Punkte kriege ich für die richtige Antwort?“ „Claudia steht im Copy-…“ „Träumst du, Matthias? Die Kopien sind bereit.“ Claudia. „Ich glaube, Sie verstehen mich falsch.“ Ich setze mein unverschämtes Grinsen auf und starre die Anzugstypen aus Hollywood an. „You don‘t understand me. Diese Bedingung ist N.I.C.H.T. verhandelbar: Entweder Johnny Depp in der Hauptrolle, oder ich verkaufe die Filmrechte an eine andere …“ Claudia hat Recht; das Titelblatt hat sich, zehnfach vervielfältigt, auf die zehn Stapel gelegt, die Kopiermaschine ist erstummt.

Ich klaube die Kopien sorgfältig aus den Ablageflächen, schlage sie in festes Packpapier ein, klebe es mit Tesafilm zu, schiebe das Paket in eine Plastiktüte und lege es auf die Theke. Ich schaue Claudia nicht an, doch spüre ich ihren Blick. Sie fragt sich natürlich, ob ich ihren Comic gelesen habe. Sie will wissen, was ich von ihm halte. Sie will wissen, wie ich mich fühle. a) Ja.
b) Ein ab-so-lu-tes, ein phä-no-me-na-les Meis-ter-werk.
c) S.C.H.E.I.S.S.E.
Aber ich sage: „2520 Blatt, das macht …“ „Vergiss nicht, dass ich eine Ermässigung kriege.“ „Nicht mehr.“ „Ach, Matthias, sei doch nicht so kleinlich.“ Ich … „Übrigens“, unterbricht sie meine Gedanken, „die Edition Futura wird ‚Das war’s dann wohl. Tschüss!‘ in ihrem Herbstprogramm veröffentlichen.“ Die Edition Futura? Das kann doch nicht … Wie kannst du mir das bloss antun, Claudia! Und du, Alex, du Verräter! „Das verschlägt dir die Sprache, was?“ Claudia, oh Claudia, wenn du wüsstest, wie ich dich … „Ich weiss, ich habe viele Fehler gemacht, Claudia, ich habe versagt, ich war unreif, beziehungsunfähig und …“ „Und …?“ Mies im Bett, füge ich in Gedanken an, aber ich liebe dich, Claudia, ich kann ohne dich nicht leben, Claudia, und alles könnte anders werden, Claudia. „Gib uns noch eine Chance, Claudia, B.I.T.T.E.“ Sie schüttelt den Kopf. „Zeichne doch eine Geschichte über diese Situation, Matthias: Du stehst im Copyshop und musst meinen Comic über unsere Beziehung kopieren. Du denkst über unsere Beziehung nach – und trotzdem bittest du mich, als ich meine Kopien abholen komme, um eine zweite Chance. Ist das nicht wunderbar symbolisch? Eine tiefsinnige Metapher für dein Selbstmitleid? Deine Verständnislosigkeit? Das wäre doch ganz dein Niveau, findest du nicht? Du fertigst fünfzig Kopien an, tauschst sie gegen die Minicomic deiner Kumpels, und dann könnt ihr Euch gegenseitig loben, bis Euch die Schultern vor lauter Klopfen schmerzen.“ Mein Niveau. Das ist fies. Aber sie hat Recht, wie so oft; ich weiss es, und deshalb treffen mich ihre Sticheleien umso tiefer. Für einen Bruchteil ihrer Begabung gäbe ich meine Seele hin. „Ich habe dich geliebt, Matthias, ich habe dich geliebt und bewundert, wie ich nie zuvor einen Mann geliebt und bewundert habe. Es verband uns so viel Wichtiges und Tiefes, und es hätte eine so schöne Beziehung sein können, aber nein, du, der grosse Matt, hast mir nie verziehen, dass ich mehr Talent habe als du.“ „Nein, Claudia, ich …“ „Gib doch zu, dass es dich wurmt, dass Alex mich veröffentlichen will und nicht dich.“ Warum durchschaut sie mich bloss so gut? „Zwischen uns ist es vorbei. Endgültig. Nach allem, was du mir angetan hast, Matthias. Aber ich bin darüber hinweg, im Gegensatz zu dir, und ich trage dir nichts nach. Im Gegenteil, ich wünsche dir von Herzen viel Erfolg.“ Ich weiss, dass sie es ehrlich meint, aber sie weiss ebenso gut wie ich, dass ich nie erfolgreich sein werde. Im Gegensatz zu ihr.
Ich reiche ihr das Wechselgeld, sie blickt mich eine Weile kopfschüttelnd an, und beim Verlassen des Ladens sagt sie, und das ohne spöttischen Unterton, sondern traurig: „Tschüss, Matt, und träume weiter von deinem Meis-ter-werk.“


Christian Gasser: „Blam! Blam! Und Du bist tot!“.
Edition Tiamat, Paperback,
ca. 240 Seiten, Euro 15.- / sFr. 26.-


Erscheint in Kürze









Illustrationen: Kati Rickenbach