Magazin Buchtitel gezeichnet von Alex Baladi |
Trinkfeste Fans
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Lars Fiske & Steffen Kverneland «Olaf G.». avant-verlag, 184 Seiten, Hardcover, farbig, Euro 24.95 / sFr. 44.90 |
Schnell und gepflegt
François Ayroles, der sich seit den frühen Neunziger Jahren im Dunstkreis von L‘Association bewegt, gewisse seiner Bücher aber auch bei Gross-verlagen wie Casterman unterbringt, versammelt in «Travail rapide et soigné» rund dreissig Kurzgeschichten, die zwischen 1994 und heute in Lapin, dem Magazin der Association, erschienen sind. |
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Böse Nazis, steife Schniepel Wie ich von einem Priester missbraucht wurde, wie ich vor den Nazis aufs Land flüchtete, wie ich als Tochter eines Schwulen lesbisch wurde: Betroffenheit und Kitsch haben den Comic erreicht. Die Verlage reissen sich um bekenntnishafte Dramen, das Feuilleton feiert sie ab; Hauptsache, Comics sind «zeitgeschichtlich relevant». Doch die Frage nach der Qualität wird ausgeklammert. «Warum ich Pater Pierre getötet habe» ist das beste Beispiel für diese Auswüchse im Bereich der Non-Fiction-Comics. Olivier, Sohn einer aufgeschlossenen, antiklerikalen Familie, schliesst Freundschaft mit dem jungen, aufgeschlossenen Priester Pierre – und dieser missbraucht sein Vertrauen während eines christlichen Sommerlagers. Kein Zweifel: Der sexuelle Missbrauch in der Kirche ist ein grosses Thema. Niemand wird bestreiten, dass es traumatisierend ist, den steifen Schniepel eines dicken, vollbärtigen Priesters anfassen zu müssen. Und diese Erfahrungen liessen sich gewiss zu einer wichtigen Geschichte verarbeiten. Doch Olivier Ka, der betroffene Autor, vergibt diese Chance: kein Tiefgang, kaum Reflexion, keine echte Auseinandersetzung, kein Kontext. Ka stolpert erschreckend unbeteiligt durch seine Vergangenheit (die der Zeichner Alfred unübersehbar in Anlehnung an David B. illustrierte). Seine wieder-holten, eklig larmoyanten Beteuerungen, wie schlimm das alles gewesen sei, verstärken nicht nur den Eindruck erzählerischer Hilflosigkeit, sondern nähren gar den Verdacht, da missbrauche jemand den Missbrauch, um sich zu profilieren. Dabei begann alles so vielversprechend. Im Sog von Art Spiegelmans «Maus» entdeckte der Comic sein Potenzial, auch ernsthafte, persönliche und zeitgeschichtliche Stoffe umzusetzen. Joe Saccos Reportagen, David B.‘s «Die heilige Krankheit», Marjane Satrapis «Persepolis» oder Craig Thompsons «Blankets» weckten dank ihrer inhaltlichen Relevanz und künstlerischen Qualitäten nicht nur das Interesse des Feuilletons, sondern erschlossen dem Comic auch eine neue Leserschaft. Ihr kommerzieller Erfolg zog aber auch Trittbrettfahrer an. Nun hämmern die Verlage einen Non-Fiction-Comic nach dem anderen heraus; worunter die Qualität leidet und mittelfristig auch der Respekt, den sich die Comics in den letzten Jahren erarbeitet haben. Denn ein gutes Thema allein macht noch keinen David B. oder Art Spiegelman. Das gilt leider auch für Miriam Katin. In «Allein unter allen» schildert sie, wie sie als kleines jüdisches Mädchen mit ihrer Mutter vor den Nazis aus Budapest aufs Land flüchtet. Sie werden von guten Landleuten aufgenommen und von schlechten ausgenutzt und vertrieben. Sie hungern und frieren, die Mutter wird von einem Nazi-Offizier geschwängert – und nach dem Krieg treffen sie den Vater wieder und wandern gemeinsam in die USA aus. That‘s it. Von einer Autorin, die sechzig Jahre später mit der Reife und der Erfahrung eines ganzen Lebens auf diese Ereignisse zurückschaut, darf erwartet werden, dass sie ihr persönliches Schicksal zu einer Geschichte von eini-germassen universaler Bedeutung zu verarbeiten vermag und nicht in der anekdotischen Schilderung eines ungarischen Winters stecken bleibt. «Allein unter allen» mag eine berührende Geschichte geworden sein, mehr aber auch nicht. Und dies entspricht zweifellos nicht den berechtigten Ansprüchen an diesen Stoff. Im Gegensatz zu Katin erzählt Alison Bechdel in «Fun Home» eine ver-hältnismässig bescheidene Geschichte: Sie setzt sich mit ihrem Vater und ihrem Coming-Out auseinander. Der Vater war schwul, ohne es je zuzugeben, ausserdem frustriert und verklemmt und deshalb ein Tyrann. Einmal stand er gar wegen Verdachts auf Verführung von Minderjährigen vor Gericht. Kurz nach Alisons Coming-Out wurde er dann von einem Lastwagen überfahren (War es ein Unfall? Selbstmord?). Diesen privaten Stoff umkreist Alison Bechdel, Autorin des hierzulande unterschätzten Lesben-Strips «Dykes To Watch Out For», hartnäckig und mit dem ernst-haften Bemühen, den Vater nachträglich zu verstehen. Sie findet zwar keine abschliessenden Antworten, schafft aber eine vielschichtige Reflexion über Homosexualität, verlogene Familienidyllen, provinzielle Enge, Literatur als Realitätsersatz und abgewürgte Träume; was weit über das persönliche Drama hinausführt und deshalb auch für Aussenstehende interessant wird. «Fun Home» ist ein sehr literarischer Comic – zu literarisch vielleicht. Der intellektuell dichte Text reduziert die (zeichnerisch nicht besonders attrak-tiven) Bilder zu Illustrationen, die man nicht selten leicht übersieht. In diesem Sinne hatte das Time Magazin vielleicht nicht ganz Unrecht, «Fun Home» zum besten Buch des Jahres 2006 zu küren – der beste Comic war «Fun Home» ganz gewiss nicht. Christian Gasser |
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Komplexer Trickser
Alex Robinson, der sich mit seinem grossen Werk «Box Office Poison» |
Alex Robinson «Ausgetrickst». Edition 52, 360 Seiten, Softcover, s/w, Euro 22.– / sFr. 39.90 |
Paradiesische Propaganda
Guy Delisle hat mit «Louis fährt Ski» vor nicht allzu langer Zeit einen überaus hübschen Comic gemacht. Für «Pjöngjang» trifft diese Umschrei-bung nicht zu. In meist düsteren Grautönen beschreibt Delisle eine Stadt, Tom Meister
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Guy Delisle «Pjöngjang». Reprodukt, 184 Seiten, Softcover, s/w, Euro 18.– / sFr. 32.40 |
Kommentierte Kulleraugen
«Still Not Famous #1» ist kein Comicband im eigentlichen Sinne, sondern eher ein Bildband und gleichzeitig eine Werkschau der in Berlin lebenden Künstlerin, Musikerin und Labelbetreiberin Evelin Höhne. Zu sehen Jan Westenfelder
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Evelin «Still Not Famous #1». Ventil Verlag, 128 Seiten, Softcover, farbig, Euro 24.90 / sFr. 44.90 |
Pompöser Niedergang
Er ist Comiczeichner, Maler und Sänger der Band «Valium et les Dépressifs». Seine Publikationen heissen «Primitive Crétin» oder «1000 Rectums»; die natürliche Umgebung seiner Charaktere sind in der Regel Müll, Schlamm und Körperflüssigkeiten.
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Henriette Valium «Ab bédex compilato». L’Association, Paris 2007, 224 Seiten, z.T. farbig, Klappenbroschur, Euro 32.– / sFr. 63.10 |
Internet-Bibel
Nicholas Gurewitch ging noch auf die Universität, als er 2001 den ersten Comic Strip veröffentlichte. Der Grund dafür waren die schlechten Comics in der Studentenzeitung. Dass seine mehr taugten, bewies er erst auf Papier und dann zunehmend im Internet.
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Nicholas Gurewitch «The Trial of Colonel Sweeto and Other Stories». Dark Horse Comics, Milwaukie 2007, Hardcover, farbig, Euro 11.– / sFr. 26.90 |
Differenzierendes Hosenrunter
Mit zum Teil peinlich berührender Offenheit lässt uns der Zeichner und Autor Joe Matt an seinem Leben teilhaben. Wir erfahren in seinem autobiografischen Comic «Peepshow» nicht nur, dass er notorisch pleite ist, sondern auch, dass er regelmässig Pornos konsumiert und ausgiebig seiner Onanie-Manie frönt; die Klopapierrolle liegt stets griffbereit neben dem Bett. Anstatt Comics zu zeichnen, flüchtet sich Matt lieber in sexuelle Traumfantasien. Seine Freundin Trish lässt er links liegen; er interessiert sich nicht für sie, lügt sie an und weigert sich, Sex mit ihr zu haben. Als Von Matthias Schneider
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Joe Matt «Peepshow». Edition 52, 168 Seiten, Softcover, schwarzweiss, Euro 17.— / sFr. 29.80 |
Blondinen und Japaner
Der in Brooklyn lebende Adrian Tomine arbeitet seit 1994 als Comicautor und hat sich mit der Serie Optic Nerve und seinen Illustrationen für den New Yorker oder Rolling Stone einen Namen gemacht. Dem Amerikaner mit japanischen Wurzeln wurde allerdings auch schon vorgeworfen, in den halb autobiografischen Geschichten seine Abstammung verbergen zu wollen. Giovanni Peduto
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Adrian Tomine «Halbe Wahrheiten». Reprodukt Verlag, 104 Seiten, Klappenbroschur, schwarzweiss, |
Notizen aus Fernost
«Moresukine» war ursprünglich ein Internetprojekt, an dem der Wahl-Berliner Dirk Schwieger während eines längeren Tokyo-Aufenthaltes arbeitete. Um seine Eindrücke festzuhalten, richtete er einen Comic-Blog ein, den er in Anlehnung an die bekannten Moleskine-Notizbücher «Moresukine» (japanische Schreibweise für Moleskine) nannte. Per Internet konnten ihm Leute aus der ganzen Welt Aufgaben stellen, die Jan Westenfelder | Dirk Schwieger «Moresukine. Wöchentlich aus Tokyo». Reprodukt, 160 Seiten, Softcover, s/w, Euro 16.– / sFr. 29.50 |
Der Charme der Familiengeschichten Die Geschichte der eigenen Familie ist meist eine verzwickte Angelegen-heit. Denn nur wenig liegt einem so nahe und ist zugleich so unvertraut Florian Meyer |
Line Hoven «Liebe schaut weg». |