Games people play – Spiel und Literatur


Wolfgang Bortlik

Das Leben ist ein Spiel.
Währenddem ich das hier so ganz locker hinschreibe, sehe ich aus dem Fenster meinem Nachbarn zu, wie er spielt. Mit einem Kärcher. So ein Wasserhochdruck-Idiotending, mit dem er auf seinen anderthalb Quadratmetern Balkon herumfuhrwerkt. Sinn der Aktion kann keinesfalls irgendeine Reinigung oder ein Sauberkeitswahn sein. Es geht eindeutig und klar um das Spiel. Das Spiel an sich. Der Homo ludens ist in Aktion.
Das macht Spass. Aus der Hüfte gekärchert. Er spritzt schneller als sein Schatten. Stolz schaut der Nachbar in die Runde. Wie ein kleines Kind, das zum ersten Mal alle Klötze in die dazu pas-senden Löcher versorgt hat.
Mittlerweile habe ich mich informiert. Es handelt sich in diesem Falle um den Hochdruckreiniger K2: «Die Einstiegsklasse. Leicht und flexibel im Gebrauch, für gelegentliche Einsätze. Auch bestens als Zweitgerät...» Muss ich annehmen, dass mein Nachbar-Homo-Ludens die Garage voll hat mit noch leistungsfähigeren Druckwasserdüsen?
Kärcher wäre auf alle Fälle ein perfektes Thema für jene legendären englischen Komiker, die einst unter dem Namen «Monty Python’s Flying Circus» das gesamte Genre revolutioniert haben. «Die hohe Kunst des Balkon-Kärcherns» – klingt fast so gut wie «Das Ministerium für albernes Gehen» oder «Wie man verschiedene Körperteile erkennt». Graham Chapman (†1989), John Cleese, Terry Gilliam, Eric Idle, Eric Jones und Michael Palin spielten mit sämtlichem Material, das ihnen in die Finger fiel. Komik ist in allen Dingen.
Nicht nur der Schweizer Humor (aber doch schon besonders der!), die gesamte gängige Komik ist ja normalerweise nachahmend, nacheilend, retrospektiv zur Wirklichkeit – und dabei ist die Realität eigentlich immer viel witziger als ihre komische Abbildung. Monty Python aber persiflierte nicht die Realität, sondern schuf eine neue Wirklichkeit. Beispiel? Die umwerfenden Fernseh-Talkshows von Monty Python, die in ihrem immanenten Schwachsinn den ganzen Reality-Ramsch, der heute auf dem Bildschirm flimmert, vorwegnahmen.
Jetzt gibt es die gesamten Texte jener 45 Folgen der zwischen 1969 und 1974 ausgestrahlten Fernsehshow der Pythons wieder als Buch – und das in einer hervorragen-den Übersetzung ins Deutsche. Ich beneide jeden Menschen, der diese Texte nicht kennt und nun zum ersten Mal lesen darf!«Es Läbe lang sändele» – Ein Leben lang im Sand spielen. Das war, wenn ich mich nicht täusche, die Forderung oder Erkenntnis des einstigen Zürcher Hippies Ali Baba und eigentlich die perfekte Forderung der hiesigen 68er-Generation. Heutzutage, bei all den Feierlichkeiten zum 40. Jubiläum (Rebellen gehen in Rente!), mag sich aber fast keiner mehr daran erinnern, dass auch Rebellion ein Spiel ist.
Ein Spiel war damals vielleicht auch die Bewusstseinserweiterung und der Gebrauch der dazugehörigen Substanzen. LSD tut nicht weh. Was gibt es noch alles? Wird probiert! Drogen sind jedenfalls das Spiel mit dem eigenen Leben. Allmachtsfantasien. Ich lass mich doch von dem Dreckszeug nicht unterkriegen. Was für eine trügerische Sicherheit. Spiel ohne Grenzen. Aufputschmittel, also Speed oder Amphetamin, waren bei den Hippies aber selbstverständlich nicht gut angesehen. «Speed ist das Symbol einer Welt, die unangetörnt ist, eine Welt voller aufheulender, stinkender Maschinen», sagte Dr. Timothy Leary und warf noch einen Trip ein.
Eine umfassende, detailreiche und unterhaltsame Geschichte von Speed und seinen oft prominenten Opfern hat der Hamburger Künstler und Autor Hans-Christian Dany geschrieben. Deutsche Soldaten zogen mit Pervitin aufgeputscht in den Blitzkrieg. Es wird gemunkelt, dass die Deutschen Fussballweltmeister von 1954 gewisse Mittelchen verabreicht bekommen hätten. Nicht zuletzt ist auch Ritalin, das man aufmerksam-keitsdefiziten Kindern verabreicht, Speed. Und die Droge hat Zukunft: Hirngedopte Börsianer oder Banker werden schneller denken, länger arbeiten, energischer auftreten, das weiss die «Financial Times» heute schon.

Das Spiel war der hehren Literatur beziehungsweise ihren Hohe-priestern, Kritikerschmalzbacken und anderen Exegeten schon immer suspekt. Dada, Oulipo, Situationisten, alles nur Randgebiete, in denen man sich nur das Kunstsumpffieber holt. Sogar als Motiv oder auch als Metapher hat es das Spiel selten in die Literatur geschafft. Schon gar nicht das Fussballspiel.
Immerhin ist diesbezüglich die Tendenz steigend: Im neuen Roman von Lukas Bärfuss spielt ein WM-Spiel von Kamerun eine entscheidende Rolle. Und im grossen Zürich-Roman «Das Gute» von Kaspar Schnetzler ist einer der Protagonisten Ersatz-Goalie bei Servette-Genf, notabene hinter dem legendären Frankie Séchehaye.
Ein Fan und Fussballer war auch Walther Kauer (1935–1987). In seinem Roman «Schachteltraum» von 1974 erzählt er Leben und Schicksal des Arbeitersohns und Verdingbuben Georges Knecht, der in seiner Rebellion gegen die Zustände in der Psychiatrie landet. Einmal darf Klein-Georges mit seinem Vater zu einem Fussballspiel der Schweizer gegen den nördlichen Nachbarn gehen, der plötzlich so eine Art Spinne in seiner Fahne hat. Walther Kauer verwendet in seinem Roman den gloriosen Sieg der Schweizer im zweiten Spiel gegen Grossdeutschland an der WM 1938.

Dass der Schweizer Fussball einst eine Weltmacht war, dürfte der eine oder die andere wissen. Immerhin pflegten die Engländer, die Erfinder des Spiels mit dem runden Leder, im 19. Jahrhundert einen heftigen Austausch mit der Schweiz. Unter anderem wurden verheissungsvolle Zöglinge gehobener englischer Schichten in Internate am Genfersee geschickt. Sie brachten Rugby und Football Association mit. Association, mit den gepflegteren Regeln und weniger verletzungsgefährlich, setzte sich durch. Der Fussball war früh in der Schweiz angekommen. Aber er hatte es schwer, sich gegen die traditonelle Turnerschaft durchzusetzen. Das Fremde jedoch war von Anfang an integraler und integrativer Teil der «Fusslümmelei» in der Schweiz – spätestens seit den Dreissigerjahren, als die Stars der Schweiz Namen hatten wie Minelli und Vernati und aus Italien stammten und, wie oben erwähnt, Grossdeutschland, also die beiden Starensembles Deutschland und Österreich zusammen, besiegten. (Ich kann in diesem Zusammenhang nicht umhin, auf mein Buch über die Geschichte des Schweizer Fussballs hinzuweisen.)
Erst Ende der Fünfzigerjahre ging es dann mit dem helvetischen Gekicke bergab. Immerhin spielten die international immer erfolgloseren Eidgenossen nach dem berühmten Motto: Wenn wir hier schon nicht gewinnen, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt.

Aufstellung

Monty Python’s Flying Circus
«Sämtliche Worte»
Zweitausendeins
886 Seiten, Euro 14.90 / sFr. 41.–

Hans-Christian Dany
«Speed. Eine Gesellschaft auf Droge»
Edition Nautilus
191 Seiten, Euro 14.90 / sFr. 27.50

Lukas Bärfuss
«Hundert Tage»
Wallstein
268 Seiten, Euro 19.90 / sFr. 35.90

Kaspar Schnetzler
«Das Gute»
Bilgerverlag, 626 Seiten, Euro 25.- / sFr. 44.-

Walther Kauer
«Schachteltraum»
Lenos Pocket
442 Seiten, Euro 14.- / sFr. 24.80

Wolfgang Bortlik
«Hopp Schwiiz. Fussball in der Schweiz oder
die Kunst der ehrenvollen Niederlage»
KiWi
252 Seiten, Euro 7.95 / sFr. 14.70